Bahners, Patrick
aber keine
Hintertür in ein Reservat der Töchterschinder. Nicht die fremde Lebensform
wird geschont; der einzelne Täter kann von der Höchststrafe verschont bleiben,
wenn ihm die Steuerungsfähigkeit fehlte und er nicht verstand, was er tat.
Dafür genügt dem BGH nicht, dass «der Täter in einer anderen Vorstellungswelt
lebt». Es muss sich sozusagen um einen Besucher vom anderen Stern handeln, der
sich nur körperlich in Deutschland aufhält und den Deutschen als moralischer
Kretin erscheint. In einem Land, das die Rache geächtet hat, schützt der
absolute Individualismus des Rechtsstaats im Zweifel auch das Individuum, das
den Rechtsstaatsfeinden als willenloses Werkzeug diente.
Das Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs zu den
Beweggründen des Bluträchers war dreizehn Jahre alt, als Armin Laschet den
«Spiegel»-Lesern weismachte, die Urteile deutscher Gerichte in Ehrenmordverfahren
fielen serienweise gruselig aus. Solche pauschale Richterschelte zerstört das
Vertrauen in den Rechtsstaat. Die freiheitssichernde Funktion der
Beweisanforderungen des Strafverfahrens wird verleugnet, indem suggeriert wird,
die Richter ließen sich von falschen Gefühlen leiten. Als
nordrhein-westfälischer Minister für Generationen, Familie, Frauen und
Integration saß Laschet 2009 der Gleichstellungs- und Frauenministerkonferenz
der Länder vor. In seiner Bilanz der Jahrestagung hob Laschet hervor, die
Minister wollten «Klartext in Sachen Frauenrechte reden». So dürfe es bei den
sogenannten Ehrenmorden keinen «kulturellen Rabatt» geben. Wenn Klartext
angekündigt wird, weiß man schon, dass etwas Unklares kommt. An wen war die
Forderung nach dem Rabattverbot adressiert? Schwerlich an potentielle Täter.
An die Justiz? Aber gab es denn Belege für einen kulturrelativistisch
begründeten Strafnachlass für Ehrenmörder in der Urteilspraxis des Jahres 2009?
Welche Gerichte waren von den Vorgaben des Bundesgerichtshofs abgewichen? Die
Wahrheit ist: Das Schlagwort vom kulturellen Rabatt bietet Politikern eine
bequeme Möglichkeit, sich als Verteidiger der freiheitlichdemokratischen
Grundordnung in Szene zu setzen - gegen die Organe der Rechtspflege.
Eisberg voraus!
Als das Berliner Landgericht 2006 die beiden älteren
Brüder der ermordeten Hatun Sürücü aus Mangel an Beweisen freisprach, verlangten
Islamkritikerinnen, das Gericht hätte die Beweislücken mit kulturellem Wissen
über die typische Genese eines Ehrenmordes füllen müssen. Die Islamkritik
behauptet, für die Rechte des Individuums zu streiten, gibt aber die
fundamentale Rechtsschutzgarantie preis, das Schuldprinzip, wonach dem
einzelnen Täter die einzelne Tat nachgewiesen werden muss. Im September 2010
brachte Alice Schwarzer das Taschenbuch «Die große Verschleierung» heraus, eine
Sammlung von «Emma»-Artikeln verschiedener Autorinnen. In einem Beitrag der Islamwissenschaftlerin
und Volkswirtin Rita Breuer von 2007 heißt es: «Inzwischen gibt es zahlreiche
Beispiele für den Einzug islamischen Rechtsdenkens in die deutsche Praxis.
Dabei ist der jüngste skandalöse Fall in Frankfurt, wo eine Amtsrichterin die
Gewalt eines Marokkaners gegen seine in Deutschland geborene Frau als zumutbar
bezeichnete, weil dies so im Koran stehe, nur die Spitze des Eisbergs.» Einige
Beiträge wurden für das Buch überarbeitet, dieser nicht. So blieb eine falsche
Darstellung stehen: Die Richterin hatte nicht die Gewalt als zumutbar
bezeichnet, sondern den Fortbestand der Ehe bis zum Ablauf der gesetzlichen
Frist unter Geltung des vom Gericht verhängten Kontaktverbots. Dass eine
Allparteienkoalition erregter Feministen von Hans-Christian Ströbele bis
Edmund Stoiber die Richterin darüber belehrte, dass sie in Deutschland
deutsches Recht anzuwenden habe, wurde 2007 nicht erwähnt und 2010 nicht nachgetragen.
Das Bild vom Eisberg ist aberwitzig. Warum soll ein riesiger Unterbau
schariakonformer Urteile nicht bemerkt worden sein? Wie konnten diese Urteile
die Überprüfung durch die Obergerichte überstehen, deren Urteile in
Fachzeitschriften publiziert und kommentiert werden? Gerichtsverhandlungen sind
öffentlich, Gerichtsurteile werden öffentlich verkündet. Verhandlungen in
Familiensachen sind nicht öffentlich, was die unterlegene Partei nicht daran
hindert, die Öffentlichkeit zu suchen. Die Anwältin der Deutschmarokkanerin
musste nur die Presse informieren: Am Tag nach der ersten Veröffentlichung in
der «Frankfurter Rundschau» gab das Amtsgericht
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