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Balla Balla

Balla Balla

Titel: Balla Balla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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von Leberwurst, von ostalbschwäbischer Leberwurst. Schlagartig war ihm klar, dass die mollige Frau an seinem Hals nur eine einzige sein konnte: Stangelhuber Rosi. Und es war die Stangelhuber Rosi, die ihn jetzt beinahe erdrückte und ihre fleischige Zunge ins Ohr, in den Mund und sonst wohin steckte.
    »Was machst du denn hier?«, fragte die Stangelhuber Rosi noch immer völlig überrascht und küsste nach wie vor wild auf Plotek ein.
    Die Frage hätte er genauso gut stellen können. Aber vor lauter Küssen kam er gar nicht dazu.
    »Mensch, das ist aber eine Überraschung!«
    Als der Stangelhuber Rosi schließlich die Küsse ausgingen und Plotek unzählige rote Lippenabdrücke im Gesicht verteilt hatte, setzte sie sich neben Piotr und Plotek auf einen Barhocker. Piotr bestellte eine Flasche Champagner und drei Gläser und Rosella fing, ohne dass sie jemand dazu aufgefordert hätte, an zu erzählen.
    Solange sie erzählt, küsst sie schon nicht, dachte Plotek, während er unauffällig versuchte, die Lippenstiftabdrücke zu beseitigen.
    »Irgendwann habe ich meinem Mann in Lauterbach gesagt, du Rolf, ich gehe nur kurz Zigaretten holen. Er hat genickt und ich bin nicht mehr wiedergekommen. Klassisch eben. Ich habe alles zurückgelassen. Und wenn ich alles sage, dann meine ich auch alles«, sagte Rosi und zählte an ihren Fingern auf. »Meine Kinder, meinen Mann, das Dorf, die Ostalb, die Vergangenheit, mein Leben. Ich habe eine neue Identität angenommen und lebe seither ein anderes Leben.«
    »Und warum?«, fragte Piotr.
    »Warum? Hm. Weiß nicht. Die Frage stellt sich mir gar nicht. Fakt ist: Ich muss seitdem keine Nutella-Brote mehr schmieren, keinen Kindern Rotznasen abwischen und keine verschwitzten, übel riechenden Männersocken waschen. Ich muss samstags nicht mehr die Straße kehren und sonntags in der Früh nicht mehr in die Kirche. Ich muss nicht mehr einmal die Woche mit meinem Mann schlafen, obwohl ich nicht will – ich muss mit niemandem mehr schlafen, wenn ich nicht will. Mit einem Mann schon gar nicht mehr.«
    Sie machte eine kurze Pause, beugte sich zu Plotek. »Ich bin lesbisch!«, flüsterte sie in sein Ohr und kicherte wie ein Schulmädchen, das während des Biologieunterrichts unter der Schulbank die ersten erotischen Selbsterfahrungen macht.
    »Zusammenfassend kann man sagen, ich hatte keine Wahl. Ich musste weg.«
    »Aber das war doch dein Entschluss«, hakte Piotr noch einmal nach.
    »Einerseits schon«, sagte Rosella, »andererseits auch wieder nicht ganz. Als ich nämlich am Zigarettenautomat stand, schon die Münzen in den Schlitz geworfen hatte und gerade Ernte 23 ziehen wollte, hörte ich eine Stimme.«
    Plotek horchte plötzlich auf.
    »Eine innere Stimme, vielleicht auch eine übernatürliche, eine göttliche womöglich, wer weiß das schon?«
    Plotek konnte nicht anders, als an die Illuminaten zu denken.
    »Eine Stimme, die sagte ›Hau ab, verpiss dich, das ist deine einzige und letzte Chance, hier wegzukommen, was ganz anderes zu machen, ganz anders zu leben, ganz anders zu sein. Willst du das?‹«
    Rosella sah jetzt Plotek an, dann Piotr und dann sagte sie: »Ich war mir nicht sicher, habe gezögert. Aber die Stimme ließ nicht nach, im Gegenteil, immer forscher redete sie auf mich ein ›Widme dein Leben anderen Menschen‹, hauchte sie von Engelsklängen begleitet in mein völlig überraschtes Ohr ›Geh, um zu dir zu kommen!‹, befahl die Stimme schließlich und schien keinen Widerspruch zulassen zu wollen. ›Tu, was ich dir sage, Auserwählte!‹ Widerspruch und Zweifel blieben endgültig auf der Strecke. Ich ließ die Ernte 23 im Kasten liegen und bog ab.«
    Wieder horchte Plotek auf.
    »Ich folgte der Stimme, die mich nach Hamburg führte, in diese unüberschaubar große Stadt, die ich nicht begriff, so wenig wie die Stimme, die nach wie vor zu mir sprach. Zehn Tage lang und ebenso viele Nächte lief ich durch die Stadt. Ich war erfüllt von einer unbändigen Kraft und Energie. Die Stadt war ein Moloch. Ein unüberschaubarer Organismus, ein unfassbarer Kosmos, der Regeln gehorchte, die niemand verstand, so unberechenbar wie die Menschen, die in ihm wohnten. Eine Stadt wie eine offene Wunde. Ein Körper, der an einem Ende blühte, gedieh und wuchs und am anderen anfing zu faulen, abzusterben und tot zu sein. Ein malignes Neoplasma.«
    Plotek zuckte zusammen.
    »Ein Geschwür, das sich ständig bewegte und veränderte, um sich selbst zu verzehren.«
    Plotek zuckte noch mehr

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