Ballade der Leidenschaft
groß die Versuchung auch sein mochte. „Nein, Rose, warte!“
„Hm?“
„Hör zu, kleine Blume.“ Er umfasste ihre Schultern und schüttelte sie behutsam.
„Ja?“ Träumerisch sah sie zu ihm auf, und er zwang sich zu lächeln.
„Ich bin dein Ritter, erinnerst du dich? Deshalb musst du mir gehorchen.“
„Oh Ben …“
„Du darfst nicht vergessen – wir dürfen den Liebesakt nicht vollziehen. Und genau dazu kommt es, wenn wir so weitermachen.“ Er schüttelte sie erneut. „Was soll geschehen, wenn du ein Kind empfängst?“
Da richtete sie sich auf. Schamlos knabberte sie an seinem Hals, ihre Zunge leckte über seine Haut.
„Rose, du träumst. Wach auf! Wir waren uns doch einig, dass Sir Richard …“ Beinahe erstickte er an dem Namen und der Lüge, die sich damit verband. „Sicher würde er sich keine Braut wünschen, die das Kind eines anderen unter ihrem Herzen trägt.“
„Oh.“ Sie blinzelte und runzelte die Stirn. „Natürlich nicht.“
„Also …“ Ben strich ihr das Haar aus dem Gesicht und wusste, wie gequält sein Lächeln wirken musste. „Also dürfen wir uns nicht hinreißen lassen.“
Keine Grübchen. Und die Enttäuschung in ihren Augen weckte in ihm den Wunsch, die Worte zu vergessen, die er soeben ausgesprochen hatte. Stattdessen drückte er Rose einen keuschen Kuss auf die Wange und wandte sich ab.
„Nun müssen wir uns beherrschen, kleine Blume. Denn ich gerate in die Gefahr, mich zu vergessen.“
15. KAPITEL
G enau eine Woche später stand Rozenn leicht verwirrt auf dem Deck eines Handelsschiffs, das den Hafen von Chichester ansteuerte. Der geschnitzte Bug stellte den Kopf einer Seeschlange im Wikingerstil dar, ein massives quadratisches Segel blähte sich im Wind.
England! Rozenn starrte das Land im Westen und Osten an, als könnte sie, indem sie es betrachtete, seine Geheimnisse ergründen. Das ist also England … So schnell war sie hierher geraten. Zu schnell, dachte sie beklommen. In einem oder vielleicht zwei Tagen würde sie mit Ben in Fulford eintreffen – und womöglich wartete Sir Richard dort bereits auf sie.
Auf den schwankenden Decksplanken hatte sie Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Aber allmählich ließ das Schaukeln nach, während das Schiff durch den Hafenkanal segelte. Vorsichtig ging Rozenn über die Deckplanken und klammerte sich dabei an die Reling. Hinter dem Tiefland versank die Sonne. England! Sie schluckte und schloss die Augen.
Zischend strich das Wasser am Schiffsrumpf vorbei – englisches Wasser. Kalte Gischt spritzte ihr ins Gesicht und benetzte ihren Umhang. Ihr Magen drehte sich um. Tagelang hatte sie nicht an Sir Richard gedacht. Nicht mehr, seit sie mit Ben Josselin verlassen hatte. Das Gefühl der Übelkeit, das sie quälte, seit die Küste in Sichtweite gekommen war, rührte gewiss nicht vom kaum spürbaren Wellengang, sondern von der Tatsache, dass sie gar nicht mehr den Wunsch verspürte, Sir Richard jemals wiederzusehen.
Nein, seit der Abreise aus Josselin hatte sie keinen Gedanken an den Ritter verschwendet, obwohl es ihr erst vor Kurzem so erstrebenswert erschienen war, ihn zu heiraten.
Ben hatte sie so hastig aus dem Schloss gescheucht, dass sie kaum Zeit für klare Überlegungen gefunden hatte. Kein Pferdemarkt, kein Besuch in Rennes. Hätte sie nicht darauf bestanden, wäre ihr nicht einmal Zeit geblieben, sich von Eudo und Gien zu verabschieden.
Nun saß Ben mittschiffs auf einem der festgezurrten Weinfässer. Die Brise zerzauste sein dunkles Haar, während er mit den Seemännern scherzte. Er war es gewesen, der während des viel zu schnellen Ritts ihre Gedanken beherrscht hatte, wann immer sie nicht zu sehr damit beschäftigt gewesen war, sich in Pechs Sattel zu halten. Wenn sie nach vielen Stunden steifbeinig abgestiegen und in einem weiteren fremden Gasthaus erschöpft eingeschlummert war …
So rastlos hatte Ben gewirkt. Wieder einmal drängte sich ihr das Bild eines schlafenden Löwen auf. Doch der Löwe schlief nicht mehr. Er war erwacht. Und sie wusste nicht, was sie von ihm halten sollte. Unbesiegbar und fest entschlossen kam er ihr vor. Und er begegnete ihr kühl. So kalt. In ihren Augen brannten Tränen.
Inzwischen war sie sich sicher, dass er für Herzog Hoël arbeitete. Dafür sprachen die Anschläge, vermutlich von Spionen des englischen Königs verübt. Und als fahrender Sänger hatte er Zutritt zu allen Adelshäusern in der Bretagne – und auch zu denen der Normandie. Zudem kehrte er
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