Ballast oder Eva lernt fliegen
zu lassen, wie klug und lebenserfahren Eva war, vielleicht auch einen kleinen Rat zu erteilen, mit dem nachgeschobenen Hinweis, dass sie diesen von Eva erhalten habe. Auf diese subtile und sehr berechnende Weise brachte sie eine Bewegung in Gang, die schon bald die ganze Stadt in Atem halten sollte. Für Ariane war Eva bereits die Ikone, die sie später werden sollte, und zu der, genau genommen, Ariane selbst sie erst formte.
Als Eva von der Geschäftsleitung zu einem Gespräch gebeten wurde, litt Ariane Qualen. Nicht etwa, weil ihre eigene Genialität wie immer übersehen wurde – das war schließlich ihr eigenes Werk – sondern, weil sie sich ausmalte, was für Dummheiten Eva bei dieser Gelegenheit von sich geben mochte. Was auch immer Ariane in ihrer charismatischen Freundin sah: Intelligenz gehörte nicht dazu. Bei der wöchentlichen Audienz in der Sporthalle spielten Evas diesbezügliche Mängel keine Rolle, denn die Ratsuchenden hörten ohnehin nur, was sie hören wollten. Und auch sonst war Evas Unbedarftheit eher von Vorteil, da Ariane sie so um so leichter für ihre eigenen, ehrgeizigen Pläne einspannen konnte. Sie brauchte eine strahlende, charismatische, von den Männern enttäuschte Persönlichkeit, um ihre Ideen zu transportieren, um ihren Traum von der zweiten, der endgültigen Emanzipation zu verwirklichen.
Doch ein Gespräch mit dem Chef war etwas ganz anderes. Es war noch zu früh, um diesem frauenfeindlichen Kerl das Handwerk zu legen. Erst musste die Basisarbeit getan sein. Seit Wochen fütterte Ariane Eva mit ihren feministischen, zum Teil anarchistischen Parolen, und die Sorge, Eva könnte diese nun den Herren der Chefetage an den Kopf werfen, machte Ariane halb verrückt. Dabei war sie völlig unbegründet.
Das Techtelmechtel zwischen Eva und Bernd war, unbemerkt von der Bürobotin, längst in vollem Gange. Und selbst ohne dessen Anwesenheit wäre es Eva niemals auch nur im Traum in den Sinn gekommen, einem gesellschaftlich weit über ihr stehenden Mann, der sie noch dazu mit ausgesuchter Höflichkeit behandelte, irgendetwas an den Kopf zu werfen, seien es nun feministische Parolen oder italienische Vorspeisen. Eva meisterte das Gespräch geradezu perfekt, war charmant, bescheiden und wies jede Urheberschaft bezüglich des veränderten Betriebsklimas vehement zurück. Und sie tat dies nicht etwa aus Berechnung, wie Ariane es an ihrer Stelle getan hätte, sondern weil sie wie immer bestrebt war, den hochgestellten Herren zu gefallen. Sie fiel also einfach in ihre alte Rolle zurück, ohne es auch nur zu bemerken, und handelte getreu ihrem alten Grundsatz: Erwecke in einem reichen Mann niemals den Eindruck, du wolltest ihm in irgendeinem Punkt Konkurrenz machen. Schon gar nicht, wenn er Junggeselle ist.
Evas Säuberungsaktion im Badezimmer war nur der Auftakt zu einer sich lawinenartig steigernden Entwicklung. Die fünf Sätze des namenlosen Ingenieurs, geäußert im richtigen (oder falschen, je nach Standpunkt) Augenblick, waren der Stein des Anstoßes, der ein ganzes Leben ins Rutschen brachte. Alles wurde umgerissen und begraben, nichts blieb verschont. Den Kleiderschrank erwischte es als nächstes. Und viel blieb nicht übrig von ihm.
Eva hatte immer von einem begehbaren Kleiderschrank geträumt, randvoll mit Pelzen, Samt und Seide. Im Grunde war sie überzeugt gewesen, dass ihr ein solcher zustand, ebenso wie ein schickes Haus mit repräsentativem Vorgarten und Doppelgarage. Mit ihrem Alltag hatte dies freilich nicht viel gemein.
Eva Idengart bewohnte eine einfache, eher kleine Dreizimmerwohnung in einem unscheinbaren Haus in unspektakulärer, doch für ihre Zwecke günstiger Lage. Die einstige Arbeitersiedlung lag exakt zwischen dem riesigen Gewerbegebiet, in welchem die Hauptverwaltung der Geprahl AG residierte, und dem Stadtrand mit seinen weiten Feldern und bewaldeten Hügeln. Letzteres war von unschätzbarem Vorteil gewesen, solange Christian noch ein kleiner, wilder Junge gewesen war. Und auch zum Joggen boten sich vielfältige Möglichkeiten. Doch für einen begehbaren Kleiderschrank war kein Platz in diesem Leben, auch nach Christians Weggang nicht, denn dieser hatte nur wenig persönliche Habe mit nach Australien genommen, weshalb Eva sein Zimmer nur teilweise für sich selbst nutzen konnte. Nur ihrem Organisationstalent und ihrer Geschicklichkeit war es zuzuschreiben, dass sie trotzdem all ihre Kleider, Schuhe, Handtaschen, Hüte, Gürtel und was sie sonst noch so zum
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