Ballaststoff
Landschaf aus dem Tiefkühler genommen und im Kühlschrank langsam auftauen lassen. Nur mit etwas Olivenöl mariniert und nach dem Grillen mit Fleur de Sel und Zitrone gewürzt, waren sie ein einmaliger, unbeschreiblicher Genuss, auf den er sich beim Nachhausekommen bereits gefreut hatte. Dazu etwas Weißbrot, um den Jus aufzutunken – so schlicht und doch so köstlich –, das hatte für ihn etwas von Vollkommenheit. Weniger für sich als für den Rest der Familie wollte er noch Kartoffelscheibchen in Olivenöl frittieren, einen Tomatensalat mit Zwiebeln und Basilikum und ein Schüsselchen Zaziki anrichten, da Astrid und die Kinder meist nur wenig Fleisch aßen.
Martin hatte ihm die Arbeit bereits abgenommen. Offensichtlich fühlte sich der Kollege seiner Frau inzwischen hier richtig zu Hause. Und Astrid mit ihrer ständig vorauseilenden Angst, dass ihr Mann nicht an den verabredeten Grillabend denken und viel zu spät kommen würde, war wahrscheinlich froh darüber, in ihm jemanden gefunden zu haben, der immer Zeit hatte, stets verfügbar war und den Ersatzmann spielen konnte.
»Was hast du mit meinen Lammkoteletts gemacht?«, fragte Georg entsetzt, als er, nichts Gutes ahnend, einen Blick in die mit einem Tuch bedeckte Schüssel neben dem Grill geworfen hatte.
»Die hab ich schön mariniert. Mein Spezialrezept. Du wirst schon sehen, oder besser schmecken. Lecker, lecker!«, rief Martin, der gerade mit einem Tablett aus der Küche kam. Er hatte sich eine Schürze umgebunden und gab den fröhlichen Hausmann. Das ist meine Schürze, dachte Angermüller, und das sind meine Lammkoteletts, die ich extra vom Biohof bei Grömitz geholt habe. Und er hat sie verdorben! Auf dem zarten Fleisch lagen Zwiebelringe und Knoblauchscheiben sowie eine Mischung aus allen Kräutern, die das Gewürzregal hergegeben hatte.
»Na, ein Bier, Georg? Von deinem dunklen Spezial?«, fragte Martin fürsorglich. Eigentlich hatte Georg bereits auf dem Weg hierher die Vision eines kräftigen, kühlen Weißweines zum feinen Aroma des Lammfleisches gehabt. Aber angesichts der Tatsache, dass Martin das Regiment am Grill und in der Küche übernommen hatte, schwenkte er um.
»Mindestens ein Bier, bitte«, sagte er matt und nahm am bereits gedeckten Gartentisch Platz.
»Und, wie war dein Sondereinsatz? Ist schon hart, bei diesem Wetter am Sonntag zum Dienst gerufen zu werden«, meinte Martin, während er eilfertig Georg ein Bier brachte. Wenigstens mal jemand, der ihn dafür bedauerte, dass sein Job ab und zu diese Unregelmäßigkeiten mit sich brachte, ging es Georg durch den Kopf. Astrid tat das schon lange nicht mehr. Sie sah nur die unangenehmen Seiten an seinem Job, unter denen ihrer Meinung nach das Familienleben zu leiden hatte.
Vor gut einem Jahr war Martin in das Leben der Familie Angermüller getreten. Kurz zuvor war er als neuer Mitarbeiter in die Beratungsstelle für Asylbewerber gekommen, in der Astrid arbeitete. Genau wie sie war Martin Sozialpädagoge. Und genau wie sie war er ein begeisterter Segler. Für Angermüller hatte Segeln noch nie zu den favorisierten Freizeitbeschäftigungen gezählt, im Gegenteil. Er war weitab jeglicher schiffbarer Gewässer in Oberfranken aufgewachsen, und der Kampf mit Wind und Wellen lag ihm fern. Aus Liebe zu Astrid hatte er sich zu Beginn ihrer Beziehung trotzdem auf ihre Piratenjolle gewagt, jedoch war ihm der Abstand zum Wasser zu gering, und die Neigung des Bötchens bei Starkwind fand er auch nicht sehr vertrauenerweckend. Sie hatten es später mit einer größeren Jacht versucht, und noch heute erinnerte er sich gut daran, wie er seekrank über der Reling hing und meinte, sterben zu müssen.
Aber er hatte sich für seine Frau gefreut, dass sie in Martin jemanden gefunden hatte, mit dem sie ihrer sportlichen Leidenschaft hin und wieder frönen konnte. Dass sie sich dafür revanchieren würde und den getrennt lebenden Kollegen, der mal zu seiner Frau zurückwollte, mal wieder nicht, quasi adoptierte – hätte er das vorher gewusst … Jedenfalls ging der Mann mittlerweile bei ihnen ein und aus, so kam es Georg zumindest vor. Und es verging kein Fest, kein Familientreffen, zu dem Astrid ihren Kollegen nicht einlud. Sogar Georgs Schwiegermutter war das schon unangenehm aufgefallen.
»Bitte, Georg, jetzt nichts über Mord und Totschlag erzählen, ja?«, bat Astrid ihren Mann, als er Martin über den Fall vom Golfplatz berichten wollte. »Das ist nichts für Kinderohren.«
»Mami, du
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