Ballnacht in Colston Hall
Überraschung auf Ralphs Seite. “Nein, das wusste ich allerdings nicht. Ich nahm an …”
“Euer verehrter Herr Vater glaubte, es sei das Beste so. Er kam zu mir und erklärte mir, dass es seine Pflicht als Friedensrichter sei, Gesetzesbrecher in Arrest zu nehmen, und dass er Euch deshalb außer Landes geschickt habe. Aber da die Countess vor Kummer völlig gebrochen sei, könne er es ihr nicht zumuten, Freddie hier tagtäglich vor Augen zu haben, während ihr eigener Sohn im Exil verweilen müsse. Deshalb solle auch Freddie fortgehen. Mein Sohn war indes ohnehin so verzweifelt über das Unglück und machte sich so viele Vorwürfe, dass er selbst wünschte, so schnell wie möglich zu verschwinden.”
So hat Vater ihnen also mit dem Gesetz gedroht, dachte Ralph betroffen und erwiderte leise: “Davon wusste ich nichts. Es tut mir leid.”
Abwehrend hob Mrs Fostyn die Hand. “Der verstorbene Earl war sehr freundlich und großzügig zu uns. Da er wusste, dass die Ersparnisse meines verstorbenen Mannes nicht ausreichend waren, um davon die Miete für ein hinlänglich großes und bequemes Haus bezahlen zu können, bot er mir den Witwensitz an, und um meiner Kinder willen ging ich darauf ein. Und wir wären auch sehr glücklich dort gewesen – wenn wir nur gewusst hätten, wo Freddie ist.” Sie seufzte und schaute traurig vor sich hin. Doch dann sprach sie gefasst weiter.
“Ich war mir immer darüber im Klaren, dass wir nicht bis in alle Ewigkeit in diesem Haus bleiben könnten. Früher oder später wäret Ihr zurückgekommen, und alles hätte sich verändert. Aber ich hoffte wenigstens, dass bis dahin alle meine Töchter einen Ehemann gefunden hätten. Susan, meine Älteste, hat schon vor Jahren den Sohn von Sir Godfrey Mallard geheiratet, und Margaret widmet ihr Leben der Erziehung fremder Kinder. Sie ist Gouvernante beim Duke of Grafton. Aber Lydia und Annabelle sind noch daheim …”
“Lydia.” Ein flüchtiges Lächeln huschte über Ralphs Lippen. “Das ist doch die Kleine mit dem rotbraunen Haar und dem kecken Blick, nicht wahr?”
Mrs Fostyn erwiderte sein Lächeln. Sie war froh, dass der junge Earl kein Unmensch zu sein schien und dass man mit ihm reden konnte. Aber wenn er der echte Sohn seines Vaters war, dann wäre ja auch nichts anderes zu erwarten gewesen. “Gewiss, Mylord. Sie ist jetzt achtzehn und – wenn ich so sagen darf – die hübscheste von meinen Kindern, aber auch …”, sie schüttelte missbilligend den Kopf, “… aber auch die eigensinnigste und selbstbewussteste.”
“Ja, ja, ich erinnere mich.” Ralph nickte. “Sie pflegte Freddie und mir ständig nachzulaufen und versuchte, es uns in allem gleichzutun. Selbst wenn wir sie fortjagten, kehrte sie nach kurzer Zeit wieder und folgte unseren Schritten.”
“Nun, das liegt jetzt alles hinter ihr. Sie ist erwachsen und heiratsfähig. Ich hoffe, dass ich in Kürze in der Lage sein werde, ihre Verlobung mit Sir Arthur Thomas-Smith bekannt zu geben.”
“Sir Arthur?”, rief Ralph unmutig, und sein Mitgefühl wanderte zu der kleinen Lydia, die er einmal so gut gekannt hatte. Er war diesem Gentleman am Abend zuvor begegnet, und es hatte ihm dabei geschienen, als kenne er ihn von irgendwoher. Doch er kam nicht um die Welt darauf, wann und wo er ihn getroffen haben könnte. Mit dem Namen konnte er nichts anfangen, zumal Thomas-Smith auch kein aristokratischer Name war. Aber das Gesicht! Ein Gesicht hatte Ralph noch nie vergessen.
“Ich glaube, ich habe Sir Arthur gestern gesehen”, fügte er etwas verbindlicher hinzu. “Ein untersetzter Herr mittleren Alters?”
“So ist es, Mylord. Er ist Lydia sehr zugetan und wird bestimmt auch ihre Überspanntheit zügeln. Und er verfügt über ausreichende Mittel, um ihr einen zufriedenstellenden Lebensunterhalt zu sichern. Annabelle, meine Jüngste, die auch recht hübsch und sehr fügsam ist, wird dann hoffentlich ebenfalls bald einen Bewerber finden, zumal Sir Arthur in Aussicht gestellt hat, sie mit einer kleinen Mitgift auszustatten.”
Ralph nickte. “Ich verstehe.” Ja, er verstand nur zu gut. Lydia sollte offensichtlich geopfert werden. Als er sie das letzte Mal gesehen hatte, war sie noch ein Kind gewesen, aber selbst damals war bereits etwas Besonderes an ihr gewesen. Selbstbewusst hatte ihre Mutter sie genannt. Würde eine solche junge Dame freiwillig einen Mann heiraten, der ihr Vater sein könnte? Nun, das war schließlich nicht sein Problem.
“Dann gewährt Ihr uns
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