Ballnacht in Colston Hall
makelloser Reinheit. Die Zeit und die Menschen, die hier wohnten und ihre Umgebung liebten, hatten noch keine Spuren hinterlassen. Alles war noch unberührt und kalt.
“Verzeiht, dass ich unangekündigt vorgesprochen habe”, sagte Lydia schließlich und hielt das Buch mit dem Titel nach oben in die Höhe, damit es ihr offenkundig ein wenig beschädigtes Ansehen etwas aufbesserte. “Ich war in Malden in der Bibliothek, um mir ein Buch auszuleihen. Als ich auf dem Rückweg an Euerm Haus vorüberkam, fiel mir ein, dass Ihr meiner Mutter einen Besuch abstatten wolltet …”
“So ist es – in der Tat.”
“… und da Mama am Mittwoch und am Freitag nicht daheim ist und Ihr keinen genauen Tag angegeben hattet, wollte ich bei Euerm Butler eine entsprechende Nachricht hinterlassen, damit Ihr den Weg nicht etwa umsonst machen würdet.”
“Das war sehr umsichtig von Euch, meine Liebe. Ah, da kommt ja auch schon der Tee.” Schweigend beobachteten die beiden, wie der Diener das Tablett auf einem kleinen Tisch abstellte und dann lautlos wieder verschwand.
“Würdet Ihr wohl die Güte haben, die Rolle der Hausfrau zu übernehmen?”, fragte Sir Arthur in süßlichem Ton, während er sich seiner Besucherin gegenüber niederließ.
Lydia quälte sich ein Lächeln ab und griff nach der Teekanne, um die Tassen zu füllen. Würde sie solche Pflichten wohl bald täglich übernehmen müssen?
“Der Grund für Eure überraschende Visite leuchtet mir durchaus ein”, fuhr Sir Arthur fort und nippte an dem heißen Tee. “Aber war es nicht dennoch ein wenig unvernünftig, ohne Begleitung hier zu erscheinen? Ich lebe erst seit Kurzem mit meinen Töchtern in dieser Gemeinde und bin sehr darauf bedacht, von den Einwohnern anerkannt und respektiert zu werden. Es wäre mir höchst unangenehm, wenn ich der Gegenstand törichten Geschwätzes würde.”
Ärgerlich biss sich Lydia auf die Lippe, als der Hausherr sie zurechtwies wie ein ungezogenes Schulmädchen. “Oh, Sir Arthur, ich bedaure sehr, dass ich derartige Befürchtungen bei Euch ausgelöst habe. Aber seid unbesorgt. Unsere Familie ist hier gut bekannt und geachtet, und man ist es gewöhnt, uns hier und dort auch einmal allein zu treffen. Ich wollte Euch mit meinem Besuch keineswegs in Verlegenheit bringen.”
“Schon gut, schon gut, meine Liebe. Wenn unsere beiden Familien in Bälde – wie ich sehr hoffe – verwandtschaftlich verbunden sein werden, wäre ohnehin nichts Unschickliches passiert.”
“Soviel ich weiß, habt Ihr mit meiner Mutter bereits über diese Möglichkeit gesprochen.” Wenn es denn sein muss, kann ich auch gleich zur Sache kommen, dachte Lydia trotzig.
“Gewiss, vor zwei Wochen, als ich ihr im Wohltätigkeitsverein vorgestellt wurde. Ich erwähnte beiläufig, dass ich auf der Suche nach einer Dame sei, die mein weiteres Leben mit mir teilen sollte, und wurde von ihrer Seite davon überzeugt, dass Ihr tugendhaft, bescheiden und pflichtbewusst seid. Daraufhin erkundigte ich mich bei Eurer Mutter, was sie von einer Werbung meinerseits halten würde.”
“Und was erwiderte sie darauf?”
“Dass die Entscheidung ganz allein bei Euch liegen würde, was ich allerdings für eine Ausflucht hielt, denn wer würde wohl so töricht sein und einer jungen Dame die Entscheidung in einer so wichtigen Angelegenheit überlassen?”
Diese herablassende Antwort ärgerte Lydia so sehr, dass sie am liebsten aufgestanden und auf dem schnellsten Wege nach Hause zurückgekehrt wäre. Doch dann hielt sie sich vor Augen, dass ein solches Verhalten die Mitgift ihrer Schwester und den Schulbesuch ihres Bruders zunichtemachen würde, ganz zu schweigen von dem Kummer, den sie der geliebten Mutter damit bereiten könnte, die immer noch auf eine Wiedereingliederung ihres ältesten Sohnes in den Kreis der Familie hoffte. Alles das hing davon ab, dass sie, Lydia, Gnade vor den Augen Sir Arthurs finden würde. Sie musste also unbedingt ihre Rolle spielen.
Und so gelang es ihr auch, eine liebenswürdige Miene zur Schau zu tragen. “Warum? Habt Ihr gefürchtet, Ihr könntet abgewiesen werden?”
Sir Arthur verzog die Lippen. “Nun, kein Mann liebt es, wenn seine besten Absichten auf Ablehnung stoßen. Ich benötige deshalb mehr Sicherheit hinsichtlich Eurer Antwort, bevor ich dieser Frage eine weitere Erwägung widme.”
Nur mühsam verbiss sich Lydia das Lachen über diese hochtrabende Formulierung. “Findet Ihr den Preis nicht einer weiteren Pirsch würdig?”
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