Ballnacht in Colston Hall
er dem Eigentümer früher einmal begegnet sein konnte, bis ihn eine Gestalt am Wegrand aus seinem Grübeln riss. Eine junge Frau in einem grauen Umhang war zur Seite getreten, um nicht vom Schlamm bespritzt zu werden. Es war seine Nymphe! Verblüfft starrte Ralph sie an und klopfte dann heftig gegen das Wagendach, um den Kutscher zum Halten zu veranlassen.
3. KAPITEL
Lydia hatte sich lange in der Bibliothek aufgehalten auf der Suche nach einem Buch, das sie beruhigen und ihre Stimmung heben würde, und sich schließlich mit einem Band Kanzelreden, die diesem Zwecke dienlich sein konnten, auf den Heimweg gemacht.
Am Rande des Städtchens musste sie an Sir Arthurs neuem Haus vorübergehen. Es war von einem sehr großen Grundstück umgeben und von der Straße durch eine hohe Mauer abgeschirmt. Lydia blieb stehen und spähte neugierig durch das reich verzierte eiserne Gittertor. Das Gebäude am Ende der Auffahrt, das sehr geräumig zu sein schien, glich mehr einem riesigen Kasten mit einem großen, von korinthischen Säulen umrahmten Eingangsportal in der Mitte, das an beiden Seiten von hohen, rechteckigen Fenstern umrahmt wurde. Da alles noch so neu war, kroch noch kein Efeu die Hauswände empor, und auf dem Dach lag kein Moos. Der nach der jüngsten Mode angelegte Garten hatte weder Blumenbeete noch Bäume, wenngleich hier und dort kleine junge Birken und Eschen angepflanzt worden waren, die jedoch noch kaum Blätter trugen. Dem ganzen Anwesen fehlte es an Charakter, anders als dem Witwensitz, der wohl sogar noch älter war als das Herrenhaus.
Lydia schüttelte den Kopf. Sie sollte doch eigentlich froh sein, ihr Heim verlassen zu können, das so nahe bei Colston Hall und seinem verhassten Bewohner lag. Vielleicht würde es ihr sogar Freude machen, Sir Arthurs Grundstück ihre eigene Note zu verleihen und ein wirkliches Zuhause daraus zu machen? Vorsichtig öffnete sie das Gittertor und ging langsam auf das Haus zu, ohne darüber nachzudenken, was sie wohl sagen sollte, wenn der Hausherr oder einer der Diener sie sah und nach ihrem Begehren fragte.
Nirgendwo war ein Zeichen von Leben – keine Kinder, keine Hunde, keine Menschen. Es herrschte eine Grabesstille. Lydia wandte sich von dem Haupteingang mit dem bronzenen Türklopfer in Form eines Löwenkopfes ab und umrundete das Gebäude. Ein langer einstöckiger Flügel war an der Seite rechtwinklig angebaut, und daneben standen die Ställe aus denselben rotbraunen Ziegelsteinen wie das Haus. Irgendwo wieherte ein Pferd, und plötzlich vernahm Lydia auch halblaute Männerstimmen. Diese Geräusche brachten sie rasch wieder zur Vernunft, und sie machte sich eilig daran, denselben Weg, den sie gekommen war, zurück zu gehen.
“Miss Fostyn!” Diese Stimme gehörte zweifellos Sir Arthur. Feuerrot im Gesicht drehte Lydia sich erschrocken um. Der Hausherr trug einen braunen Rock, rehlederne Hosen und Reitstiefel.
“Ich … ich ging zum Haus, aber niemand kam an die Tür.” Das war die reine Wahrheit, und es gab keinerlei Veranlassung hinzuzufügen, dass sie ja gar nicht angeklopft hatte.
“Oh, ich bitte vielmals um Entschuldigung. Meine Schwester, die den Haushalt führt, ist ausgegangen, und die Dienerschaft wird in der Küche beschäftigt gewesen sein. Wo ist Eure Frau Mama? Sitzt sie in der Kutsche?”
“Nein, Sir Arthur, ich bin allein und zu Fuß unterwegs.”
Der Hausherr hob überrascht die Brauen, versagte sich jedoch eine Bemerkung. “Nun, dann darf ich Euch bitten einzutreten.”
Lydia nahm die letzten Reste ihrer etwas lädierten Würde zusammen und folgte Sir Arthur in die Eingangshalle mit ihrem marmornen Fußboden und einer breiten, von üppigem Schnitzwerk verzierten Holztreppe. Der Hausherr rief einen Diener herbei, der der Besucherin den Umhang abnahm, bestellte eine Erfrischung und geleitete Lydia dann in einen Salon mit einem etwas zu protzigen Kamin, an den er sich eindrucksvoll anlehnte, während er Lydia einen Stuhl anbot.
“Ich hatte Euch nicht erwartet”, sagte er mit einem höflichen Lächeln, “sonst hätte ich mich besser auf Euern Besuch vorbereitet.”
Während sich Lydia krampfhaft eine passende Antwort überlegte, musterte sie den Raum. Die Tür und die Möbelstücke bestanden aus dem modernen rotbraunen Mahagoniholz. Die Deckenbalken waren mit komplizierten Schnitzereien versehen und die Polstermöbel mit Damast in orientalischer Musterung bezogen. Es roch nach frischer Farbe, und jeder Gegenstand glänzte noch in
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