Balthazar: Roman (German Edition)
sie eintreten, warf die Tür hinter sich zu und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Erleichtert stieß sie den Atem aus. Wenigstens hatten Balthazar und Bianca dieses Haus zu einem sicheren Hafen für sie gemacht. Wenn sie nicht zumindest diesen einen Rückzugsort gehabt hätte, wo sie sich darauf verlassen konnte, dass ihr niemand etwas zuleide tat, dann wäre sie schon vor Wochen zusammengebrochen.
Skye ging in die Küche, stärkte sich mit einer Packung Kekse und stieg dann die Treppe zu ihrem Zimmer empor. Beinahe ohne darüber nachzudenken, ging sie in das kleine, angrenzende Zimmer und suchte den Koffer, den sie hoch oben auf einem Regal verstaut hatte. Balthazar wollte, dass sie hierblieb und ein idyllisches Leben wie aus einem Fernsehwerbespot führte, das er für realistisch zu halten schien. Skye wusste es besser. Vielleicht neigte man einfach dazu, das Leben durch eine rosarote Brille zu sehen, wenn man erst einmal tot war. Der gesunde Menschenverstand sagte ihr, dass ihr Leben vielleicht nicht unbedingt besser werden würde, wenn sie jetzt aus Darby Glen floh, aber die Chancen standen gut, dass es länger währen würde, und das schien ihr nicht der schlechteste Grund zu sein, möglichst schnell zu verschwinden.
Aber was würde sie damit Mom und Dad antun, die auf diese Weise nur ein Jahr nach dem Tod von Dakota auch noch ihre Tochter verlieren würden?
Zum ersten Mal seit Monaten stiegen ihr Tränen der Trauer in die Augen. Sie hatte gedacht, sie hätte in der Zeit unmittelbar nach Dakotas Tod so viel um ihren Bruder geweint, dass es für ein ganzes Leben reichen würde. Aber die Wunde öffnete sich immer wieder neu. Sie war noch genauso wenig verheilt und so schmerzhaft wie damals. Und so würde es wahrscheinlich immer bleiben. Skye warf sich auf ihr Bett und öffnete die unterste Schublade ihres Nachtschranks. Dort, ganz hinten, lagen die Fotos von Dakota, die sie letzten Sommer dort verstaut hatte. Es hatte ihr zu sehr wehgetan, sie anzuschauen, aber sie hätte sie niemals wegwerfen können.
Das Bild, das sie nun in den Händen hielt, zeigte sie beide gemeinsam beim Wildwasserrafting vor einigen Jahren. Er war immer der wahre Abenteurer gewesen, sie nur die Möchtegernausgabe von ihm.
Dakota wäre vermutlich die einzige Person in Darby Glen gewesen, der sie die Wahrheit über Balthazar hätte anvertrauen können. Vermutlich wäre er ausgeflippt, aber er war immer aufgeschlossen gewesen und hätte bedingungslos zu ihr gehalten. Er hatte nie versucht, andere Leute oder Beziehungen in kleine, enge Schubladen zu stecken. Mehr als jeder andere, den Skye bislang kennengelernt hatte, war Dakota ein wahrer Freigeist gewesen.
Er starb, während er das tat, was er liebte, hatte ihre Mutter immer gesagt, und zum ersten Mal hatte Skye nicht das Gefühl, beim bloßen Gedanken daran schreien zu müssen. Dakota hatte immer gemacht, wonach ihm der Sinn stand. Wenn er allerdings gewusst hätte, dass er sein eigenes Leben verlieren und ihnen allen mit seinem Tod großen Schmerz zufügen würde, dann wäre er nie abseits der üblichen Route gefahren. Aber er hatte es nicht gewusst. Er hatte sich einfach in die Abenteuer des Lebens gestürzt und war ihnen mit offenen Armen entgegengerast.
»Jetzt habe ich mein eigenes Abenteuer«, flüsterte sie seinem lächelnden Gesicht auf dem Bild zu. »Und es ist viel angsteinflößender als deines. Aber ich werde mehr Glück haben. Ich weiß es, denn du wirst auf mich aufpassen.«
Sie hörte, wie unten die Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde, dann vernahm sie Schritte; zwei Personen kamen zu ihrem Zimmer hoch. Skye verdrehte die Augen. Mom und Dad erschienen auf dem Plan, wenn man sie am wenigsten brauchen konnte. »Ich hoffe, ihr kriegt keinen Anfall«, rief sie. »Ich schwöre euch, die Direktorin hat ohne jeden Grund ein Fass aufgemacht. Da ist nichts.«
»O doch, da ist was«, sagte Redgrave, als er die Tür zu ihrem Schlafzimmer aufstieß.
Skye schrie und warf sich auf ihrem Bett zurück, aber es gab keinen Ausweg für sie. Charity war an Redgraves Seite, und dahinter folgten noch zwei weitere Vampire, drei, vier … O Gott, wie viele kamen denn da noch? »Wie bist du hier hereingekommen?«, fragte Skye heiser vor Entsetzen.
»Miss More hat sich uns angeschlossen und erfahren, was uns davon abhält, dich noch einmal zu besuchen. Da war sie so freundlich, uns zu verraten, dass es Mittel und Wege gibt, die Geister zu vertreiben. Offenbar war ihr letzter,
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