Banatsko (German Edition)
Grabkreuze wuchsen bis weit in offenes Feld hinaus aus dem noch fahlen Gras, trocken und weich ging der Wind darüber, Zerbrochenes erschien zwischen den Halmen und verschwand wieder, die letzten Scherben eines Grabporträts unter den braungeschnurrten Hagebutten des vorigen Jahrs, der Arm eines Holzkreuzes, von Frost und Regen bleichgemachtes Rot und Lila und blaues Blattgrün alter Grabgestecke aus Kunststoffblumen. Frauen stützten sich auf Rechen und Harken, die sie zum Säubern ihrer Gräber mitgebracht hatten und sprachen, dann schwiegen sie unter ihrem schwarzen Kopftuch, mit neugierschmalem Blick angesichts Fremder. Aus Hintergärten wehte Akkordeonklang, in einer Wirtschaft richtete man sich für den Tanz am Abend. Junge Mädchen, die das Kirchenschwarz der vergangenen Woche hinter sich gelassen hatten, drückten sich bunt und glitzernd um das Tanzzelt, drehten Haarsträhnen um die Finger zu Locken, ließen kleine Kettchen klirren, Katzensilber und Trompetengold – so viel Schmuck mit seinen dünnen Tönen. Unter dem schweren Zeltdach probten Musiker ihre wintersteifen Finger und Lippen an Instrumenten aus. Schiefe Tänze würde es zuerst geben, bis all das Müde und Träge und Schleifende, all dieser Fuß- und Hand- und Hüftschlendrian vertrieben sein würde, bis dahin würde es schon tiefdunkel sein und die Herzen warm unter den vom Schweiß stumpfen Kettchen und Medaillons.
Wie in den anderen Banater Dörfern bewegten sich auch hier die Gardinen an den Fenstern, wenn draußen etwas geschah. Ein betrunkener Junge rüttelte am Eisentor eines Hauses und rief nach seinem Vater. Vater!, rief er, Vater, Vater! Lass mich rein! Sein Fahrrad lag ärmlich neben ihm im Straßenschmutz. Vater!, fing er wieder an, und das Tor schlug metallisch zu seinen Worten, Vater!, lass mich doch rein! Die Gardinen an den Fenstern schaukelten, eine alte Frau trat aus der Seitentür des gegenüberliegenden Hauses und stand, in ihrer Verwachsenheit mit den Farben der Gegend fast unsichtbar, zwischen Holzstößen, Gerät und blassem Vorjahrsgestrünk um zu schauen. Ihre Hände wrangen und rieben langsam die Schürze vor ihrem Bauch.
Dann gab es einen Unfall an der Ecke. Ein sehr alter Dacia und ein großes schweres Auto mit blitzenden Scheiben und Spiegeln prallten gegeneinander. Eine erschreckte Kinderschar sprang aus dem auseinanderbrechenden Dacia, lauter Jungen in dunklen Feiertagsanzügen, den beiden Kleinsten rutschten die ärmel bis an die Fingerspitzen. Weinend standen die Kinder am Straßenrand, während ihr dünner feiertäglicher Vater die Hände und Arme vor zwei Männern aus dem großen Auto beschwörend und begütigend hin und her warf und ruckte. Der betrunkene Heimkehrer hatte aufgehört, nach seinem Vater zu rufen, und das Tor tat sich auf, Vater und Sohn starrten mit offenen Mündern auf das, was vor ihren Augen geschah. Aus den umliegenden Gassen eilten Schaulustige herbei, accidente!, accidente!, riefen sie sich zu, Hunde rasten hinter den Toren. Eines der Kinder bückte sich aus seiner Bestürzung hinaus nach dem verbeulten Fahrrad neben dem betrunkenen Sohn, stieg auf und begann wacklige Kreise zu ziehen, die schwarzen Anzugbeine schlotterten ihm um Waden und Knie, die Anzugbrüder erwachten aus ihrem Schrecken und liefen dem Radler bettelnd hinterher, auch sie wollten sich Angst und Betretenheit aus den Beinen strampeln, sich in den Fahrtwind stemmen, sich an etwas festhalten, so plötzlich aus allem Festen geschleudert, dem Anblick ihres in einzelne Teile zerbrochenen Gefährts so hilflos ausgeliefert, während die Aussicht auf Tante Vladimiras Osterkuchen und Onkel Ioans Akkordeonspiel, auf Großmutters Gebetsformeln und die unter immer schweratmiger stöhnenden Akkordeontönen unweigerlich eintretende glanzäugige Erwachsenenseligkeit des späteren Abends so fern gerückt, ja durch den unbesonnenen Schlenker ihres Vaters so plötzlich in ein gar nicht zu beschreibendes Jenseits übersiedelt war. Haltet den Dieb!, rief der Vater des Betrunkenen auf einmal, als er sah, wie seines Sohnes Fahrrad unter den schwarzen Kindern weiter und weiter wegrollte, Haltet den Dieb! Keiner wollte sich vom accidente losreißen, was ging sie das Fahrrad an, sie hatten Haus und Garten im Stich gelassen, um anderes zu sehen als einen Fahrraddiebstahl im österlichen Dorf. Frauen mit Kleinkindern auf dem Arm schubsten sich lachend an, als ein weiteres Daciateil vom Wind gestreift zu Boden schepperte. Welch ein Anblick, dieses
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