Bann der Ewigkeit: Roman (German Edition)
schwer, als Zander ins Zimmer kam. Der allzeit selbstbewusste Wächter sah wie ein Toter aus. Nicht physisch, nein, er war stark und gesund wie eh und je, vollständig von seinen Wunden genesen. Er sah emotional tot aus: seine Augen leer, der Gang schwer und das blonde Haar zerwühlt, als wäre er sich mehrfach mit den Fingern hindurchgefahren. Ein unsichtbares Gewicht schien seine Schultern nach unten zu drücken und mit ihnen die Atmosphäre um ihn herum.
Sie hatte ihn nie als alt gesehen. Ein gewöhnlicher Mensch würde ihn auf Mitte dreißig schätzen, für einen auf verwegene Art attraktiven Mann in den besten Jahren halten. Der war er nicht. Zander war 829 Jahre alt. Und heute, jetzt gerade, sah man diese Jahre in seinen graublauen Augen, die sie an alles erinnerten, was er getan und gesehen hatte und was gewesen war.
»Lena sagt, sie ist sehr zufrieden mit dir.«
Callia musterte ihn stumm. Er trug die traditionelle schwarze Kampfhose, die Titus ihm in die Höhle mitgebracht hatte, und sein langärmeliges weißes Henley-Shirt, in dem seine Muskeln zwar zur Geltung kamen, die Zeichnungen der Argonauten hingegen weitestgehend verborgen blieben. Helle Stoppeln sprossen auf seinem Kinn, als hätte er sich seit Tagen nicht rasiert, und die zarten Narben auf seinen Fingerknöcheln und dem Hals sowie kleine Flecken von entblößter Haut hier und da ließen ihn nur noch rätselhafter und faszinierender wirken.
Götter, er war wirklich wunderschön, selbst mit den Narben aus Jahrhunderten in der Schlacht. Callia erinnerte sich, wie sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Es war fast elf Jahre her. Damals war sie dreißig gewesen – erwachsen für menschliche Verhältnisse, für argoleanische praktisch noch ein Teenager. Der König hatte sie gebeten, die Position der königlichen Heilerin zu übernehmen, welche Jahre vorher ihre Mutter innegehabt hatte, bis zu ihrem Tod. Deshalb war Callia auf der Burg gewesen, überwältigt von dem ganzen Prunk und zugleich bemüht, nicht allzu unwissend zu erscheinen. Und auf dem Weg zum König war sie Theron und Zander auf dem Korridor begegnet.
Damals wie heute hatte ihr Herz gestottert und sie hatte das Gefühl gehabt, keine Luft mehr zu bekommen. Diese Wirkung hatte er immer auf sie, besser gesagt, sie nahm beständig zu, bis zu jener Nacht, als er sie ins Studierzimmer des Königs zog und sie alles, was sie jemals über Gleichgewicht, Ordnung und Kontrolle körperlichen Verlangens gelernt hatte, über den Haufen warf.
Er steckte die Hände in die Gesäßtaschen seiner Hose und rührte sich nicht. Offensichtlich wusste er nicht, was er sagen oder tun sollte, und in der Stille begann Callias Puls zu rasen. Sie war nicht sicher, warum er so still war, aber eines war klar: Er hatte Schuldgefühle. Und mit denen konnte sie nicht umgehen.
»Zander, du musst nicht bleiben. Mir geht es gut, und du bist mir nichts schuldig.«
»Habe ich dir je von meiner Mutter erzählt?«
Die seltsame Bemerkung machte sie sprachlos, umso mehr, als sein Ausdruck deutlich verriet, dass das, was ihm durch den Kopf ging, wichtig war. »Nein«, sagte sie verhalten, »ich glaube nicht.«
»Sie arbeitete in der Burg.« Er kam zu ihr und setzte sich neben sie auf das Bett, achtete jedoch darauf, sie nicht zu berühren. »Es war im zwölften Jahrhundert, als die Dinge noch recht anders waren. Archidmus war König, und der Rat hatte seinerzeit weit größere Macht über die Monarchie wie auch über das Volk.« Er stützte die Ellbogen auf die Knie und senkte den Blick. »Ihr Name war Khloe, und sie war Lehrerin. Sie unterrichtete die Kinder des Königs und einiger Bediensteter auf der Burg. Man vermählte sie mit einem Gelehrten, Alastor, dessen älterer Bruder die Familie im Zwölfen-Rat vertrat.
Sie bekamen keine Kinder und waren erst wenige Jahre gebunden, als mein Vater, Nikator, ihr eines Tages in der Burg über den Weg lief.«
Den Namen des Argonauten sprach er mit einer Abscheu aus, dass Callia ein kalter Schauer über den Rücken lief. Ihr war bekannt, wie wenig er von dem Ándras hielt, der ihn zeugte, aber er hatte selten von ihm gesprochen und Callia hatte nie gefragt. Die Gerüchte über Nikator indes waren im ganzen Königreich bekannt und mit ein Grund, weshalb ihr Vater gegen die Beziehung mit Zander gewesen war. Nikator war seinem Namen – der Eroberer – in jeder nur denkbaren Hinsicht gerecht geworden: ein brutaler Kämpfer in der Schlacht und außerhalb, ein Ándras , der sich nicht
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