Barakuda der Wächter 04 - Die Gipfel von Banyadir
der scharfkantige Stahlwürfel. Dante ließ sich fallen, nicht schnell genug; das Geschoß riß ihm den linken Oberarm auf, fast bis zum Knochen.
Er hörte Stahl auf Stahl klirren. Der Sa’orqi lag in der Ecke, mit einem kleinen Loch in der Stirn. Der Mischling hatte seine Deckung verlassen und drang mit zwei Messern auf Tunga ein. Dante richtete sich langsam und halb betäubt vor Schmerz auf; er versuchte, die Pistole zu richten, aber die beiden Männer bewegten sich zu schnell. Tunga ließ sich rückwärts treiben, duckte sich, fintete, wich aus. Blut troff von seiner Wange, die einer der Dolche des Mischlings geöffnet hatte. Der Krummdolch der Stadtsklavin fand angemessene Verwendung; er zuckte und blitzte, wehrte Angriffe des Gegners ab. Rückwärts taumelnd erwischte Tunga mit dem Fuß einen Schemel, trat ihn vor die Beine des anderen. Der Mischling verlor die Balance, vielleicht nur eine halbe Sekunde, aber zu lang. Tunga tauchte unter seinem rechten Arm weg; der Krummdolch schrieb einen blitzenden Bogen in die Luft, zerschnitt das Lederhemd des Mischlings und steckte dann in seiner Brust.
Einer der Gäste lief hinaus, um den Heiler aus seinem Karren zu holen. Der Sa’orqi war tot. Barakuda kauerte ne ben dem sterbenden Muli. Mit verzerrtem Gesicht und vor Schmerz rauher Stimme sagte er: »Wo sind die anderen?«
Der Mischling versuchte eine Grimasse, biß sich auf die Zähne und schloß die Augen. Tunga streckte die Hand aus und berührte den Griff des Krummdolchs. Der Mann ächzte. »Auf See«, stieß er hervor.
»Auch Shevshan?«
Der Mischling öffnete die Augen; fast schadenfroh blick te er Barakuda an. »In Golgit geblieben«, murmelte er.
6. Kapitel
Cadhras wurde von einem Frühjahrssturm heimgesucht. Die hölzernen Hafentore waren geschlossen, aber im Becken tanzten die Schiffe. Westwind geißelte das Meer und rüttelte an Masten und Bordwänden, und die Boote, rollend und stampfend, steckten das Wasser im Rechteck des Hafens an. Die Reede von Cadhras war leergefegt. Yachten und Frachtsegler ankerten in windgeschützten Buchten an der Ostseite der Schulinsel Corilia; die Hochseefischer hielten sich von den gefährlichen Leeküsten fern, und die Segler der Küstenfischer hätten gegen den Orkan nicht einmal den Hafen verlassen können. Die Kähne und Schiffe waren ringsum mit Fendern versehen; dennoch knirschte und krachte es allenthalben im Becken.
Der Wind trieb salziges Meerwasser in die Mündungen der beiden kleinen Flüsse Soka und Piagas; er hetzte ausgefranste Wolken über den Himmel und zog Wasservorhänge über den Kai. Gischt von der giftgrünen Brandung mischte sich mit dem Regen, der waagerecht in die Stadt geweht wurde.
Links neben Barakuda krächzte kläglich ein Seevogel, der sich in eine Mauernische geflüchtet hatte. Der Laut brachte Dante wieder zu Bewußtsein. Verwundert stellte er fest, daß er dem Sturm mindestens eine Stunde lang die Stirn geboten und auf Hafen und Meer hinausgestarrt hatte. Er fühlte sich frisch und wach und war naß bis auf die Haut. Langsam schloß er das Fenster; der Wollteppich war Morast.
In seinem kleinen Bad trocknete er sich ab und rasierte sich. Danach wanderte er einige Minuten im Wohnraum auf und ab, mit einer Hantel in der linken Hand. Die Narbe am Oberarm, wo das Stahlgeschoß des Sa’orqi ihn getroffen hatte, war nur eine von vielen; allmählich gehorchte der lin ke Arm ihm wieder. Schließlich zog er sich an, stopfte die Ho senbeine in die Schäfte der weichen P’aodhu-Stiefel, steckte Geld, Schlüssel und Zigaretten in die Lederjacke und verließ sein Apartment.
In den anderen Räumen regte sich noch nichts. Es war ei ne jener chaotischen Nächte gewesen, nebenan im Meeresleuchten ; die drei verbliebenen Mädchen Flor, Ruganj und Zalya schliefen länger, und neuerdings öffnete die Rote Yolande ohnehin erst nachmittags.
Eine jener chaotischen Nächte, wie sie in letzter Zeit immer häufiger wurden. Bald war die zweijährige Quarantäne überstanden; damit ging eine Epoche zu Ende. Und mit dem Näherrücken des Termins begannen Leute durchzudrehen oder hektische und ungezielte Aktivität zu entwickeln – Leute, die fast zwei Jahre lang bemerkenswert gefaßt die Gashiri-Krise mit ihren Begleiterscheinungen, das lange Warten und die diffuse Stimmungslage vor dem Exodus er tragen hatten.
Dabei würde sich nicht allzuviel ändern, oberflächlich. Das Laborschiff mit den Wissenschaftlern konnte endlich abfliegen, ebenso die
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