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Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Titel: Barcelona 01 - Der Schatten des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafon
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gehen. Beide wußten, daß Jacinta, wenn sie ihr die Wahrheit sagte, sie nicht würde gehen lassen. Sie liebte die beiden zu sehr.
»Ein guter Plan, Miquel«, hatte Julián gesagt, nachdem er sich die Strategie seines Freundes angehört hatte.
Miquel nickte traurig.
»Außer einer Kleinigkeit. Daß ihr vielen Leuten weh tun werdet, wenn ihr für immer geht.«
Julián hatte genickt und dabei an seine Mutter und Jacinta gedacht. Es kam ihm nicht in den Sinn, daß Miquel Moliner sich selbst meinte.
Am schwierigsten war es, Penélope von der Notwendigkeit zu überzeugen, Jacinta nichts von dem Plan zu sagen. Miquel wüßte als einziger die Wahrheit. Der Zug sollte um ein Uhr mittags fahren. Wenn Penélopes Fehlen bemerkt würde, wären sie schon jenseits der Grenze. In Paris würden sie unter falschem Namen als Mann und Frau in einer Herberge absteigen. Dann würden sie Miquel Moliner einen Brief für ihre Familien schicken, ihre Liebe gestehen und sagen, daß es ihnen gutging, daß sie sie liebhätten, würden ihre kirchliche Trauung ankündigen und sie um Verzeihung und Verständnis bitten. Miquel Moliner würde den Brief in einen andern Umschlag stecken, damit der Stempel aus Paris sie nicht verriete, und ihn dann von einer Ortschaft in der Umgebung aus abschicken.
»Wann?« fragte Penélope.
»In sechs Tagen«, antwortete Julián. »Diesen Sonntag.«
Miquel war der Ansicht, um keinen Verdacht zu erwecken, sollte Julián in den Tagen bis zur Flucht Penélope besser nicht mehr besuchen. Sie sollten sich absprechen und dann nicht mehr treffen bis zum Rendezvous im Zug nach Paris. Sechs Tage, ohne sie zu sehen und zu berühren, das war eine Unendlichkeit für ihn. Sie besiegelten den Pakt, eine geheime Ehe, mit einem Kuß auf die Lippen. Danach führte Julián Penélope in Jacintas Zimmer im dritten Stock des Hauses, wo sich nur die Dienstbotenräume befanden. Dort, glaubte Julián, würde sie niemand entdecken.
    Wie in Trance zogen sie sich aus und erkundeten ihre Körper. Penélope hatte jede Spur von Zerbrechlichkeit und Kindlichkeit verloren. Nachdem sie ihre Sehnsucht gestillt hatten, blieb Julián kaum Zeit, sich aufzurichten, als sich langsam die Tür öffnete und eine Frauengestalt auf der Schwelle erschien. Eine Sekunde lang dachte Julián, es sei Jacinta, aber sogleich wurde ihm klar, daß es Señora Aldaya war, die sie gebannt und ebenso fasziniert wie angewidert beobachtete. Endlich brachte sie stammelnd heraus: »Wo ist Jacinta?« Dann wandte sie sich ohne ein weiteres Wort ab und ging davon, während sich Penélope in stummer Verzweiflung auf dem Boden zusammenkauerte und Julián spürte, wie die Welt um ihn herum einstürzte.
    »Geh jetzt, Julián. Geh, bevor mein Vater kommt.« »Aber …«
»Geh.«
Er nickte. »Was auch geschehen mag, ich erwarte dich am Sonntag im Zug.«
Penélope brachte ein knappes Lächeln zustande. »Ich werde dort sein. Und jetzt geh. Bitte …«
    Sie war noch nackt, als er sie verließ und über die Dienstbotentreppe zu den Garagen hinunterglitt und dann in die kälteste Nacht hinaustrat, an die er sich erinnern konnte.
    Die nächsten Tage waren die schlimmsten seines Lebens. Er hatte die Nacht schlaflos verbracht, in der Erwartung, jeden Augenblick kämen ihn Don Ricardos Killer holen. Aber nicht einmal der Schlaf wollte kommen. Am nächsten Tag in der San-Gabriel-Schule nahm er in Jorge Aldayas Verhalten keine Veränderung wahr. Er verging beinahe vor Angst und gestand Miquel Moliner, was geschehen war. Miquel schüttelte den Kopf.
    »Du bist verrückt, Julián, aber das ist ja nichts Neues. Merkwürdig ist nur, daß es bei den Aldayas keinen Aufruhr gegeben hat. Wenn man es richtig bedenkt, ist es allerdings auch wieder nicht erstaunlich. Wenn euch, wie du sagst, Señora Aldaya entdeckt hat, dann weiß sie möglicherweise noch nicht einmal selbst, was tun. Ich habe mich in meinem Leben dreimal mit ihr unterhalten und daraus zwei Schlüsse gezogen: Erstens, daß sie geistig etwa zwölf Jahre alt ist, zweitens, daß sie an chronischem Narzißmus leidet, der es ihr unmöglich macht, irgend etwas zu sehen oder zu begreifen, was sie nicht sehen oder begreifen will, besonders wenn es sie selbst betrifft.«
    »Erspar mir die Diagnose, Miquel.«
»Ich meine damit nur, daß sie wahrscheinlich noch darüber nachdenkt, was und wie, wann und wem sie es sagen soll. Zuerst muß sie ja an die Folgen für sich selbst denken – den möglichen Skandal, die Wut ihres Mannes … Alles andere,

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