Bartimäus 02 - Das Auge des Golem
hervorragend ausgebildet und von äußerster Brutalität. Sie sind nacheinander durchs Fenster von Coots Feinkostladen eingestiegen, in der Nähe der Stelle, wo der Krach herkam. Daraufhin wurde es plötzlich still… Dann konnte man drinnen im Laden nacheinander sechs kleine blaue Lichtblitze sehen, aber ohne irgendwelche Begleitgeräusche. Und dann war alles wieder dunkel. Der Polizeichef hat gewartet, aber die Männer sind nicht wieder herausgekommen. Kurz darauf hörte er es erneut krachen, und zwar etwas weiter weg, aus der Richtung von Pinns Ausstattungen. Das war ungefähr fünf vor halb zwei. Inzwischen waren Zauberer von der Sicherheit eingetroffen und hatten den gesamten Straßenzug mit einem Abwehrnetz abgeriegelt. Jetzt wurden auch die Suchkugeln losgeschickt, die Sie erwähnt haben, Sir, aber sie wurden fast sofort außer Funktion gesetzt und sind seither verschwunden… Und bald danach, gegen Viertel vor zwei, durchbrach etwas am Ende der Häuserzeile das Abwehrnetz. Was es war, wissen wir nicht, weil die dort postierten Dämonen ebenfalls spurlos verschwunden sind.«
Der Junge schlug das Notizbuch zu. »Das ist alles, was wir wissen, Sir. Unsere Verluste belaufen sich auf sechs Polizisten und acht Dämonen von der Sicherheit… ach ja, und Mr Pinns Gehilfe hat es auch nicht überlebt.« Er warf einen Blick auf das Aschehäufchen, das in einer Ecke vor sich hinschwelte. »Der finanzielle Verlust ist natürlich wesentlich schwerwiegender.«
Es war nicht zu erkennen, ob Mr Tallow diesem Bericht viel abgewinnen konnte; er brummte gereizt und wandte sich ab. Ein Zauberer mit hagerem, fahlem Gesicht und schwarzem Anzug bahnte sich seinen Weg durch den Schutt. Er trug einen kleinen goldenen Käfig, in dem ein Kobold hockte und ab und zu wütend mit den Klauen am Gitter rüttelte. Mr Tallow sprach den Mann im Vorbeigehen an: »Ach, Ffoukes, hat sich Miss Whitwell schon gemeldet?«
»Ja, Sir. Sie erwartet Erfolge, und zwar flott. So hat sie sich ausgedrückt, Sir.«
»Verstehe. Lässt das Verhalten des Kobolds darauf schließen, dass im Nebengebäude Spuren irgendwelcher Seuchenerreger oder Giftstoffe zurückgeblieben sind?«
»Nein, Sir. Er ist fit wie ein Frettchen und doppelt so bissig. Es besteht keine Gefahr.«
»Sehr schön. Danke, Ffoukes.«
Als sich Ffoukes wieder verabschiedete, raunte er Nathanael noch zu: »Diesmal sind Überstunden fällig, Mandrake. Der Premierminister soll gar nicht erbaut sein.« Grinsend verschwand er und das Klappern des Koboldkäfigs verlor sich in der Ferne.
Mit steinerner Miene strich sich Nathanael das Haar hinters Ohr und ging hinter Mr Tallow her, der vorsichtig über den Schutt balancierte. »Wir nehmen uns mal die Überreste der Polizisten vor, Mandrake. Haben Sie schon gefrühstückt?«
»Nein, Sir.«
»Umso besser. Wir müssen nach nebenan zu Coots Feinkost.« Er seufzte. »Da hab ich immer meinen Kaviar gekauft, erstklassige Ware.«
In der Wand zum Nebengebäude klaffte ein großes Loch. Tallow blieb davor stehen.
»Und nun strengen Sie mal Ihren allseits bekannten Grips an, Mandrake, und erzählen mir, was Sie aus diesem Durchbruch hier schlussfolgern.«
Auch wenn er momentan ziemlich angespannt war, im Grunde schätzte Nathanael solche Herausforderungen. Er nestelte an seinen Manschetten und spitzte nachdenklich die Lippen. »Diese Öffnung liefert uns Anhaltspunkte hinsichtlich Größe und Gestalt des Eindringlings«, hob er an. »Die Decke ist hier vier Meter hoch, das Loch dagegen nur drei Meter; demnach dürfte der Verursacher nicht größer als drei Meter sein. Die Breite wiederum beträgt etwa anderthalb Meter, sodass ich aus dem Verhältnis von Höhe und Breite schließen würde, dass das betreffende Wesen menschliche Gestalt hat, wenn auch in vergrößertem Maßstab. Noch interessanter ist jedoch die Art und Weise, wie das Loch entstanden ist…« Er machte eine Pause und rieb sich in der Absicht, einen besonders intelligenten Eindruck zu machen, bedächtig das Kinn.
»Bis jetzt ist das alles ziemlich nahe liegend. Fahren Sie fort.«
Nathanael bezweifelte, dass Mr Tallow durch eigene Überlegung bereits zu vergleichbaren Ergebnissen gekommen war. »Nun, Sir, hätte der Täter eine Detonation oder einen ähnlichen Sprengzauber benutzt, wären die Mauersteine pulverisiert worden oder zumindest in winzige Splitter zerborsten. Aber sie sind noch da, an den Ecken zwar lädiert, das schon, aber die meisten werden immer noch vom Mörtel
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