Beast
die Stunde zahlen. Es kann auch mehr werden, wenn du erst mal ein paar Monate hier bist und das eine oder andere gelernt hast.« Eric klettert aus der Schubkarre, knüllt die Papiertüte von der Fleischtasche zusammen und wirft sie in hohem Bogen in den Mülleimer. »Zwanzig Stunden die Woche. Das ist nicht viel, ich weiß, aber mehr kann ich mir im Augenblick nicht leisten.« Er schaut mich fragend an. »Und?«
»Ja«, sage ich. »Danke.«
Ich bin ein blöder Sack, was? Als ob er mich noch einstellt, wenn ich ihm seinen Laster klaue!
Danach fahre ich zum Stauseeparkplatz. Ehe ich aussteige, bleibe ich lange im Auto sitzen. Es ist jetzt abends länger hell, aber über dem See liegt dichter Nebel. Mein Kleiner kann überall sein, hinter der Hecke da, unter dem Busch dort. Er kann gleich unter der Wasseroberfläche lauern. Sechs Tage ist es jetzt her, dass er ausgebrochen ist, und bis jetzt war noch nichts in den Nachrichten: keine Berichte über verschollene Angler oder geköpfte Spaziergänger. Keine Meldung, dass am Ufer ein Krokodil gesichtet wurde. Ich habe die winzige, verzweifelte Hoffnung, dass er gestorben ist, weil er die Umstellung auf sein neues Revier nicht verkraftet hat. Aber das ist reines Wunschdenken.
Ich gehe über das Stauwehr und schaue in das tiefe Wasser. Eine Reihe Bojen schaukelt auf und ab. Hier oben fühle ich mich sicherer. Es geht fünf Meter runter und |164| zwischen uns ist eine Betonwand. Trotzdem weiß ich, dass er irgendwo dort unten ist, mich belauert und wartet. Dass er allmählich Hunger bekommt.
Schritte hinter mir.
»Der Park schließt gleich«, sagt jemand. Es ist der Typ von der Wasserbehörde. Nicht schon wieder, Herrgott noch mal! Wozu schleicht der Kerl andauernd hier rum? Er sieht mich neugierig an. »Na, wenn das nicht Danny Slater ist!« Es klingt ironisch. Ich nicke ihm zu und drehe mich wieder nach dem Wasser um.
»Hast du was verloren?« Er stützt sich neben mir aufs Geländer. »Wo hast du denn deinen Hund gelassen?«
Ich zucke die Achseln. »Hab ich weggegeben.«
Er seufzt.
»In letzter Zeit treiben sich hier irgendwelche zwielichtigen Typen rum. Die sind nicht von hier. Pass auf dich auf.«
Meint er meinen Vater? War Dad noch mal hier?
»Oder kennst du die vielleicht?«
Ich schüttle den Kopf. »Ich muss los.«
Aber ich fahre nicht nach Hause. Stattdessen stelle ich den Wagen in der Parkbucht ab und gehe querfeldein. Inzwischen ist es ziemlich dunkel. Krokodile jagen nachts. Wenn ich auch nur einen Funken Verstand hätte, würde ich mich ins Auto setzen und heimfahren. Aber es lässt mir keine Ruhe. Ich muss noch mal einen Blick auf den verwüsteten Pumpenkäfig werfen, damit ich begreife, dass es wirklich passiert ist, dass er tatsächlich ausgebrochen ist. Vor dem Zaun kauere ich mich ins feuchte Gras und warte eine Weile. Die Luft riecht anders, wie nasse |165| Kleider, die über der Heizung hängen. Es ist April. Der See erwärmt sich allmählich. Mir bleibt fast das Herz stehen, als sich am Rand der Wiese etwas Großes, Dunkles bewegt, aber dann kommt ein zweiter Umriss dazu, und als ich die Taschenlampe anknipse, erkenne ich, dass es Kühe sind. Die sind im Winter nicht hier.
In der Glotze gab’s mal einen Naturfilm, wo ein Rudel Krokodile in einem Wasserloch auf der Lauer lag, und wenn ein Büffel oder sonst was zum Trinken kam – Zack! Dann schlägt das Krokodil zu. Ich rufe mir in Erinnerung, dass zwischen mir und dem See ein zwei Meter hoher Zaun ist.
Ich nehme an, er erkennt mich am Geruch. Wenn er in der Nähe ist, weiß er womöglich, dass ich im Anmarsch bin. Schlimmer noch, er bringt mich mit Futter in Verbindung. Nein, ich nehm’s zurück – er bringt alles Lebendige mit Futter in Verbindung.
Es macht mir mehr Mühe als sonst, über den Zaun zu klettern. Wie habe ich das nur jedes Mal mit einem Sack voll Fleisch geschafft? Oben bleibe ich lange sitzen. Die Drahtenden bohren sich in meine Hose. Hier oben kann mir nichts passieren. Nächstes Mal stecke ich am besten ein Seil ein, falls ich ganz plötzlich Reißaus nehmen muss. Ich springe runter und stapfe durchs dürre, raschelnde Farnkraut. Bestimmt hört er jeden Schritt. Warum hat mir Dad bloß keine Knarre besorgt? Die Aussicht auf eine Stange Geld ist ihm wichtiger als das Leben seines Sohnes. Selby würde das hier gefallen. Ich male mir aus, wie er vor mir hergeht. Er muss immer der Erste sein. Er hätte bestimmt eine Waffe dabei. Ein Buschmesser, eine Schrotflinte |166|
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