Beast
oder sonst was. Er wäre nicht mit leeren Händen hergekommen wie ich. Er hätte viel mehr Lärm gemacht. Er hätte vor sich hingeflucht und Witze gerissen, um sich abzulenken. Er hätte das Farnkraut zertrampelt und Zweige von den Bäumen gerupft.
Ich komme an den Weg. »Klappe, Selb«, zischle ich und gehe querfeldein. Hier unten ist es dunkel und nass, meine Taschenlampe macht nur einen funzligen Strahl. Aber ich weiß, wo ich hinwill. Ich bin schon hundertmal im Dunkeln hier langgegangen. Bloß ist es heute Abend irgendwie anders. Ich bleibe alle paar Schritte stehen und horche. Ich bin drauf gefasst, brechende Äste und dumpfes Knurren zu hören, aber da ist nur der Wind über dem See und mein stoßweiser Atem. Es quiekt schrill und etwas Kleines stürzt sich von oben auf mich und dreht wieder ab. Fledermäuse. Die gibt es bei den Reynolds auch. Carol glaubt mir nicht, dass ich sie hören kann. Sie behauptet, ihre Rufe wären für Menschenohren viel zu hoch. Aber so wie jetzt höre ich sie manchmal. Es klingt so ähnlich, wie wenn man mit dem angeleckten Finger über den Rand von einem Weinglas fährt, und dann kommt früher oder später ein kleiner Vampir angeflattert.
Auch Frösche machen Töne. Ich meine jetzt nicht Quaken. Sie schreien. Es klingt grauenvoll. Ich habe es erst ein Mal gehört. Dudley hatte einen im Maul. Ich habe ihn schreien gehört und bin nachsehen gegangen, was los ist. Ich habe Dudley einen Tritt verpasst, was zum Glück keiner gesehen hat, und ihm den Frosch weggenommen. Aber der Frosch war zu flink und ist weggehüpft, bevor ich die andere Hand drüberhalten konnte, und in einer Mauerritze |167| verschwunden. Wahrscheinlich schreit jedes Lebewesen, wenn es ihm an den Kragen geht. Wie ich mich wohl anhöre, wenn er mich zu fassen kriegt? Ob ich vor der Todesrolle überhaupt noch zum Schreien komme?
Ich stehe vor dem Käfig. Zwei Stangen sind ganz herausgebrochen und liegen im Gras. Ich richte die Taschenlampe auf den See. Das Wasser ist schwarz und spiegelglatt. Es ist wahr. Er ist ausgebrochen. Es war kein Traum. Er ist irgendwo da draußen. Ich knipse die Taschenlampe aus, weil mir klar wird, dass ich damit auch nicht viel mehr sehe, dass sie ihn aber unweigerlich zu mir führt. Was soll ich jetzt machen? Ich fürchte mich, so ganz allein. Ich will nicht als Reptilienfutter enden. Trotzdem gehe ich weiter und suche die Stelle ab, wo ich ihn zuletzt gesehen habe, als er über die Böschung verschwunden ist. Am Ufer regt sich nichts. Nichts kommt angetappt. Wenn ich vom Wasser wegbleibe, kann mir eigentlich nichts passieren. Zumindest bilde ich mir das ein.
Am Ufer liegt etwas Dunkles. Was es ist, kann ich nicht erkennen, aber es bewegt sich nicht. Es könnte ein großes Tier sein, aber um sicherzugehen, müsste ich näher ran. Jetzt, wo ich es gesehen habe, will ich ihm nicht den Rücken zukehren, falls es doch ein Tier ist. Die Taschenlampe bringt gar nichts. Ich überwinde mich, einen Schritt zu machen und dann noch einen. Nein, es rührt sich immer noch nicht. Ich gehe oben auf der Böschung entlang, damit ich nicht zwischen dieses Etwas und den See gerate. Bloß nichts riskieren. Noch ein paar Schritte, dann erkenne ich, dass ich wegen einem Baumstumpf fast ausgeflippt bin. Er kann überall sein. Vielleicht ist er inzwischen |168| über den See geschwommen. Vielleicht ist er auch ganz woanders. Genauso gut kann er in irgendeinem Gartenteich liegen und Goldfische mampfen.
Ich weiß auch nicht, warum ich mir so etwas ausmale. Mir ist schon klar, dass er womöglich nur ein paar Meter entfernt von mir darauf lauert, im rechten Augenblick zuzuschlagen. Der Boden wird abschüssig und rutschig und ein scheußlicher Gestank steigt mir in die Nase.
Da liegt ein abgetrennter Schafskopf. Der Rumpf ist nirgends zu sehen. Aus dem Maul hängt eine blaurote Zunge. Ich weiche zurück und rutsche aus. Es haut mir die Beine weg und ich lande mit dem Hintern voll in einer Matschpfütze. Beim Aufstehen fällt mein Blick auf eine verwischte Schlammspur, die ins Wasser führt. Sie ist noch feucht, als wäre erst kürzlich etwas Großes aus dem See gekrochen.
Ich fahre nach Hause. Das reicht. Jetzt weiß ich Bescheid.
Er ist noch hier.
|169| Achtzehn
Am Freitagmorgen frühstücke ich gerade Rührei mit Würstchen und Bohnen, als Robert reinkommt und sich mir gegenüber hinsetzt. Er trägt ein T-Shirt mit einer Frau drauf, die nur mit Sturzhelm und Motorradhandschuhen bekleidet ist.
»Wann
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