Beastly (German Edition)
das dich zur Bushaltestelle bringt. Am Abend bist du zu Hause. Aber bitte…« Ich wandte den Blick von ihr ab.
»Bitte was, Adrian?«
»Erwarte nicht, dass ich dir morgen auf Wiedersehen sage. Wenn ich herunterkomme, um mich von dir zu verabschieden, lasse ich dich vielleicht nicht gehen.«
»Ich sollte nicht gehen.« Sie schaute das gemütliche Feuer an, dann mich. »Wenn es dich so traurig macht, sollte ich nicht gehen.«
»Nein. Es war eigensüchtig von mir, dich hierzubehalten. Geh zu deinem Vater.«
»Es war nicht eigensüchtig. Du bist netter zu mir gewesen als alle Menschen, die ich je kennengelernt habe.« Sie griff nach meiner Hand, meiner widerlichen Pranke. Ich konnte sehen, wie ihr Tränen in die Augen stiegen.
»Dann sei du auch nett zu mir, indem du schnell gehst. Ich will es so.« Sanft entzog ich meine Hand ihrem Griff.
Sie schaute mir in die Augen, wollte gerade etwas sagen, nickte dann und rannte aus dem Zimmer.
Ich ging hinaus in den Schnee. Ich trug nur Jeans und ein T-Shirt, und es war so bitterkalt, dass die Kälte trotz meiner wärmenden Behaarung binnen Sekunden bis in meine Knochen vordrang. Ich achtete nicht darauf. Ich wollte frieren, es war gut, etwas anderes zu fühlen als diese plötzliche Leere und den Verlust. Ich schaute nach oben und wartete darauf, dass in Lindys Zimmer das Licht anging. Ich beobachtete ihre schattenhafte Silhouette, die sich auf den Vorhängen abzeichnete und sich durch das Zimmer bewegte. Ihr Fenster war der einzige helle Punkt in der klirrend kalten Nacht. Mein Blick wanderte weiter nach oben, auf der Suche nach dem Mond. Er versteckte sich hinter Bäumen, aber ich fand die Sterne – Sterne und dahinter weitere Sterne und noch mehr Sterne hinter diesen. Millionen von Sternen, mehr als ich in meinem ganzen Leben in New York gesehen hatte, mehr als alle Lichter dort zusammen. Ich wollte keine Sterne sehen. Ich konnte ihre Schönheit und ihre Vielzahl nicht ertragen. Ich wollte nur den einsamen, luftlosen Mond. Schließlich erloschen die Lichter in Lindys Zimmer. Ich wartete, bis ich sicher war, dass sie schlief. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie es wäre, neben ihr zu schlafen. Ich konnte es nicht mehr aushalten, mir das vorzustellen. Ich riss meinen Blick von ihrem Fenster los und fand den Mond hinter einem Baum. Ich kauerte mich zusammen, warf den Kopf zurück und heulte ihn an, heulte wie die Bestie, die ich war, die Bestie, die ich für immer sein würde.
6
Der nächste Tag war ein Samstag, der Tag an dem wir normalerweise gemeinsam Unterricht hatten. Aber diesmal war es der Tag, an dem Lindy wegging. Nachdem ich ihr ein Taxi gerufen und auf den Busfahrplan geschaut hatte, zog ich mich in mein Zimmer zurück, um sie durch den Spiegel zu beobachten. Kurz überlegte ich, ihr den Spiegel zu geben, damit sie mich sehen und sich an mich erinnern könnte. Aber ich beschloss, dass ich mich nicht von ihm trennen wollte. Wenn ich sie schon nicht haben konnte, wollte ich wenigstens die Möglichkeit haben, sie zu sehen. Wenn ich ihr den Spiegel gab, dann schaute sie womöglich gar nicht nach mir. Vielleicht wollte sie mich lieber vergessen. Damit könnte ich nicht umgehen.
Nun schaute ich also zu, wie sie ihre Sachen packte. Sie nahm die Bücher, die wir zusammen gelesen hatten und ein Foto von unserem ersten Schneemann mit. Von mir hatte sie keine Fotos. Schließlich hörte ich auf, mich selbst zu bemitleiden, und ging frühstücken. Als ich zurück in mein Zimmer kam, traf ich dort auf Will.
Er sah von seinem Buch auf und sagte: »Ich war gerade bei Lindy, und sie sagte etwas sehr Seltsames.«
»Dass sie uns verlässt?«
»Ja.« Will warf mir einen fragenden Blick zu.
»Ich hab ihr gesagt, dass sie gehen soll. Können wir jetzt über etwas Erfreulicheres reden? Zum Beispiel darüber, dass Die Elenden echt ein witziges Buch ist?«
»Aber Adrian, alles lief so gut. Ich dachte…«
»Sie wollte weg. Ich liebe sie zu sehr, als dass ich sie zum Bleiben zwingen könnte. Sie sagt, sie würde im Frühling zurückkommen.«
Will sah aus, als wollte er noch etwas sagen, aber dann hielt er das Buch hoch. »Also, was hältst du von Inspektor Javert?«
»Ich finde, die Figur würde gut in ein Broadway-Musical passen«, sagte ich und lachte, obwohl mir nicht danach war. Ich schaute auf die Uhr. Gleich würde Lindys Taxi da sein. Ihr Bus fuhr in etwa einer Stunde. Wenn das alles ein Film wäre, eine dieser romantischen Komödien für Mädels, käme jetzt
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