Beautiful Americans - 01 - Paris wir kommen
»Das habe ich gar nicht gemerkt.«
»Echt?« Wie schmeichelhaft.
»Du siehst ziemlich gut aus«, sagt sie und streichelt mir über das Gesicht. Dann nimmt sie einen großen Schluck Bier. »Voulez-vous danser avec moi?« Sie legt ihre Hand auf mein Knie.
Am liebsten würde ich über die Ironie des Schicksals lachen: Ein schönes Mädchen wirft sich mir an den Hals und will mit mir tanzen, während ich mir nichts sehnlicher wünsche, als dass sich mir ein schöner Junge an den Hals wirft.
»Nein danke. Ich hab im Moment nicht so Lust zu tanzen.« Oje, gerade ist wieder mein Südstaatenakzent durchgekommen. Passiert mir oft, wenn ich nervös bin, ohne dass ich es will.
Inmitten des ganzen Trubels im Wohnzimmer springen Olivia und Alex auf den Couchtisch. In glückseliger Trance dreht sich Olivia im Kreis, die Arme über dem Kopf. Ihr Kleid ist verrutscht und man sieht ihre gebräunten Schultern - ziemlich sexy. Alex, die wie eine Stripperin neben ihr kreisende Bewegungen macht, könnte man glatt für ein Rap-Video casten. Ihr Rock ist von ihrem Tanz so weit nach oben gerutscht, dass sie genauso gut in Unterwäsche weitermachen könnte.
»Kommt schon, küsst euch«, höre ich Drew rufen. »Nur ein Mal! Wir geben euch auch fünf Euro! Zehn!« Ein paar Typen um ihn herum lachen laut. Aber Alex und Olivia bekommen das gar nicht mit.
Die texanischen Zwillinge haben sich schmollend in die Ecke verzogen. Alex und Olivia machen die heißeste Show der Stadt. Trotz Pattys und Tinas frechem Anfangsauftritt (nicht zu vergessen, dass sie mit den zwei begehrtesten Typen aus dem Lycee gekommen sind) beachtet sie jetzt keiner mehr.
»Ich bin Tallis«, haucht mir das Elfenmädchen ins Ohr. Schnell und anmutig hievt sie sich auf meinen Schoß, ein Bein rechts und eins links von mir. Dann beugt sie sich hinunter und küsst mich auf die Lippen. Sanft zwar, aber sie will eindeutig mehr.
Holla. Mein Herz klopft. Ich sitze in der Falle!
»Tut mir leid - ich muss mal eben kurz weg - da drüben ist jemand, mit dem ich gern reden würde«, presse ich hervor.
Tallis ist so klein, dass ich sie mühelos hochheben und wieder zurück auf die Couch setzen kann. Sie reagiert total eingeschnappt und verschränkt wütend die Arme.
»Keine Sorge, cherie«, sage ich im Weggehen, auch wenn sie mich nicht hören kann. »Heute Abend gibt's noch jede Menge andere Kandidaten. Du wirst schon drüber wegkommen.«
Im Esszimmer trinkt Jay ganz allein ein Bier und schaut sich ein paar Bücher im Regal an.
»Hey Mann, wie geht's?«, sage ich und boxe Jay freundschaftlich in die Seite.
»Was läuft, Mann?«, entgegnet Jay und schüttelt mir die Hand. »Ich hab ja schon gedacht, du würdest eine Weile lang nicht mehr zum Luftholen kommen.« Er zeigt mit einem Kopfnicken hinter mich, auf Tallis. Hat er uns beobachtet?
»Ach so«, sage ich. Ich habe keine Ahnung, wie ich davon ablenken soll, warum ich mich nicht mit ihr einlassen konnte. »Sie war ziemlich heiß, aber ...« Aber was?
»Es ging einfach nicht?«, fragt Jay. »Ja, ich weiß, was du meinst.« Er lehnt sich mit dem Rücken ans Bücherregal.
»Ja?«, sage ich. Fast hätte ich mein Bier ausgespuckt. Kann das sein?
»Na klar, Mann. Ist mir auch schon passiert«, meint Jay lässig. »Falsche Person, falsche Zeit. Schon bald kommt jemand Besseres - garantiert.«
Ich habe ja eigentlich gedacht, dass Jay hetero ist, aber das hier ist einfach zu seltsam. Wäre es möglich, dass Jay auch schwul ist? Hat er deshalb »falsche Person« gesagt und nicht »falsches Mädchen«? Weil er weiß, wie es ist, wenn einen ein Mädchen anmacht und man sich wünscht, es wäre ein Typ? Aber vielleicht habe ich auch nur ein Bier zu viel intus. Ich suche in seinem glatten kantigen Gesicht nach irgendeinem Hinweis.
Da ertönt urplötzlich ein lauter Knall aus dem Wohnzimmer. »Ach du Scheiße«, sage ich, bevor ich weiß, was überhaupt passiert ist. Das muss Alex sein - sie war schon betrunken, bevor die Party überhaupt losging. Und kurz bevor Tallis mich geküsst hat, habe ich gesehen, wie jemand Shots auf der Tanzfläche verteilt hat. Und wenn Shots rausgeholt werden, ist Alex immer so gut wie erledigt.
Ich schiebe mich durch das dichte Gedränge. Schockiert sehe ich Olivia - Olivia, die sich normalerweise immer unter Kontrolle hat - auf dem Wohnzimmerboden sitzen und hemmungslos weinen. Die meisten Tänzer sind zur Seite gewichen.
»Was ist passiert?«, frage ich. »Wo ist Alex?«
Schluchzend schüttelt
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