Bedrohung
ohrenbetäubend knallte. Sekunden später erfolgte die Detonation im Inneren des Gebäudes. Der Hubschrauber schwankte, die Kamera hatte Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten, und verlor für einige Augenblicke das Geschehen aus dem Fokus. Die Nachrichtenzentrale schaltete auf Splitscreen und blendete eine sichtlich erschütterte Moderatorin ein, die sich die Hand vor den Mund schlug, als ihr klar wurde, dass sie soeben Zeugin einer zweiten Explosion geworden war.
Der Mann steckte das iPad in eine Hülle und fuhr los.
Zeit, den neuen Rekruten kennenzulernen.
12
10:40
HMP Westmoor war ein großes, nüchtern wirkendes, modernes Gefängnis, das wie ein Felsbrocken inmitten der herrlichen Landschaft von Hertfordshire thronte. Auf Tina wirkte es wie eine schwer befestigte Stadtbibliothek, und sie hielt es für einen Akt der Barbarei, es an einem so schönen Ort zu errichten.
Während sie sich dem Eingangsbereich näherte, wurde ihr bewusst, dass sie selbst durchaus auch hier hätte landen können. Es war kaum ein Jahr her, da hatte sie einen Mann getötet, mit einem einzigen Schlag auf den Kopf. Die Tatsache, dass es sich bei diesem Mann um den einundzwanzigjährigen Liam Roy Shetland gehandelt hatte, einen der Terroristen, der zu der Gruppe der Stanhope-Besetzer zählte und im Begriff war, zwei entführte Kinder zu ermorden, galt nach wie vor nicht als ausreichende Rechtfertigung für ihr Handeln.
Obwohl sie und Shetland in einen Kampf verwickelt waren, bei dem Tina selbst erhebliche Verletzungen davongetragen hatte, hatte er ihr den Rücken zugekehrt, als sie ihn mit einem Bleirohr erwischte, und deshalb hatte ihr wochenlang eine Anklage gedroht. Doch sie war glücklicherweise darum herumgekommen. Die Öffentlichkeit hatte sich auf ihre Seite geschlagen, auch die Tatsache, dass Shetland nach einer Waffe gegriffen hatte, spielte eine Rolle. In den Augen vieler war Tina eine Heldin, eine harte, kompromisslose Polizistin, die im Großbritannien von heute schmerzlich vermisst wurde. »Dirty Harriet« hatte die Daily Mail sie genannt, was besser war als »Die Schwarze Witwe«, der Beiname, der ihr anhaftete, seit einer ihrer Kollegen bei einem gemeinsamen Einsatz getötet worden war. Und nachdem diverse Politiker, die wie immer eine Chance gewittert hatten, sich zu profilieren, zu ihren Gunsten interveniert und sich einige sogar – mit den üblichen Vorbehalten – für ihre Wiedereingliederung in den aktiven Dienst ausgesprochen hatten, landete sie schließlich bei der CID Westminster.
Westmoor war ein Hochsicherheitsgefängnis, in dem nur Häftlinge der Kategorie A untergebracht wurden sowie solche, die wegen schwerster Vergehen auf ihren Prozess warteten. Man hatte es radförmig angelegt, die sechs Flügel waren wie Speichen angeordnet, die einzeln abgeriegelt werden konnten. Im Zentrum befand sich ein weiterer, für die gefährlichsten Verbrecher reservierter Trakt, in dem auch Fox gegenwärtig einsaß.
Nachdem sie die nötigen Formulare ausgefüllt und die Sicherheitsschleuse passiert hatte, wurde Tina zunächst im Büro des Direktors vorstellig.
Dieser, ein hochgewachsener, leicht gebückter, grauhaariger Mann Anfang sechzig, der eine Fliege trug und die Aura eines amtsmüden Akademikers ausstrahlte, erhob sich hinter seinem unaufgeräumten Schreibtisch, der neben dem einzigen Fenster seines Büros stand.
»Mein Name ist Jeremy Goodman«, begrüßte er sie und drückte ihr überraschend kräftig die Hand. Dabei musterte er sie kurz, ehe er sie aufforderte, sich zu setzen. »Sie sind also die berühmte Tina Boyd. Im Laufe der Jahre habe ich eine Menge über Sie gelesen.«
»Nur Negatives, nehme ich an.«
Goodman blieb ernst. »Alles sehr interessant«, sagte er nach einer kurzen Pause, wobei sein Zögern zu bestätigen schien, dass seine Lektüre nichts Positives enthalten hatte.
»Und Sie sind hier, um William Garrett zu sehen.«
»Richtig. Soweit ich weiß, wurde er vor drei Tagen angegriffen. Können Sie mir schildern, was passiert ist?«
Goodman nickte, seine Miene spiegelte allerdings Widerwillen und Abscheu.
»Ein höchst bedauernswerter Zwischenfall. Es geht um einen weiteren Häftling der Kategorie A, Eric Hughes. Wir in Westmoor sind eigentlich stolz darauf, dass es uns gelungen ist, ein friedliches, tolerantes Klima zu schaffen, und dass die Beziehungen sowohl zwischen Häftlingen und Personal als auch zwischen den Häftlingen untereinander generell gut sind. Diese Konfrontation hatte
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