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Bedrohung

Bedrohung

Titel: Bedrohung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Kernick
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Vorzeigehäftling nennen. Zumindest bis zu diesem letzten Zwischenfall. Aber ich habe absolut nicht den Eindruck, dass ihn die Schwere der von ihm verübten Verbrechen auch nur ansatzweise beschäftigt. Ich bin ein großer Anhänger der Resozialisierung, Miss Boyd, auch wenn diese Idee in diesem Land nicht sehr hoch im Kurs steht. Ich glaube, wir könnten eine Menge vom skandinavischen Modell lernen, das den Häftling eher als ein Individuum sieht, das im Leben eine falsche Entscheidung getroffen hat, denn als ein Monster, das so lange wie möglich weggesperrt gehört. Nichtsdestotrotz halte ich Mr. Garrett für die Ausnahme von dieser Regel. Ich bezweifle ernsthaft, dass er resozialisiert werden kann. Ich habe genug Zeit mit ihm und den Psychiatern, die ihn untersucht haben, verbracht und bin mir sicher: Der Mann empfindet keine echte Reue. Geht man davon aus, dass er selbst wahrscheinlich fünf Menschen getötet hat und für viele Tote die Verantwortung trägt, dann haben wir es hier mit einem extrem gefährlichen Individuum zu tun. Hinzu kommt, dass er hochintelligent ist. Auch wenn Sie glauben, nicht so leicht manipulierbar zu sein, so würde ich das während Ihrer Unterhaltung nicht außer Acht lassen.«
    »Danke, Sir, ich werde daran denken.«
    »Wir haben einen Vernehmungsraum vorbereitet, und Mr. Garrett sollte inzwischen vorgeführt worden sein. Wenn Sie also keine weiteren Fragen haben, begleite ich Sie hinunter.«
    »Ich schätze, so weit ist alles beantwortet«, erwiderte Tina und stand auf.
    »Ich muss zugeben«, sagte der Direktor, während er ihr zum zweiten Mal die Hand schüttelte, »wenn man Ihre Verwicklung in die Stanhope-Sache betrachtet, überrascht es mich doch, dass er nach Ihnen gefragt hat. Und Sie auch noch allein sprechen will.«
    Tina schluckte die fortgesetzte Irritation über den Ton, in dem Goodman mit ihr redete, hinunter.
    »Nun, es war meine Verwicklung, Mr. Goodman, die dazu beigetragen hat, die Besetzung zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.«
    »Über siebzig tote Zivilisten kann man gewiss nicht als einen erfolgreichen Abschluss bezeichnen.«
    »Oh doch, wenn man es mit fünfhundert Geiseln zu tun hat und einem Gebäude, das so voller Sprengstoff war, dass das ganze Viertel in die Luft geflogen wäre. Und was immer Sie oder Mr. Garrett denken mögen – ich beherrsche meinen Job.«
    Goodman bedachte sie mit einem skeptischen Blick.
    »Meiner Meinung nach lassen Ihre Methoden einiges zu wünschen übrig, Miss Boyd. Deshalb erwarte ich, dass Sie sich, solange Sie sich in meinem Gefängnis aufhalten, an meine Regeln halten.«
    Tina begegnete seinem Blick und war versucht, ihm in die Eier zu treten oder zumindest eine passende Antwort zu erteilen, verkniff es sich aber.
    »Selbstverständlich, Sir.«
    Der Wärter, der Tina in den Zentralbereich des Gefängnisses eskortierte, war derselbe, der sie zum Büro des Direktors gebracht hatte. Er hieß Thomson, und er sah aus, als mache er seinen Job schon seit Jahrzehnten.
    »Hat der Direktor Ihnen auch seinen Vortrag über Resozialisierung gehalten?«, fragte er.
    Tina hüstelte hämisch. »Sagen wir, er hat das Thema gestreift.«
    »Er ist ein großer Resozialisierungs-Fan, er meint, das sei Sinn und Zweck des ganzen Unterfangens, dass in jedem Menschen etwas Gutes schlummere, auch wenn es manchmal sehr tief verborgen liegt. Aber er verbringt auch die meiste Zeit in seinem Büro und bekommt nicht mit, was wir zu sehen kriegen.«
    »Und was kriegen Sie zu sehen?«
    »Ich sehe jeden Tag Hunderte von Grund auf schlechte Männer. Jeden Tag meines Lebens. Männer, die nicht zweimal darüber nachdenken würden, mir die Kehle durchzuschneiden oder meine Tochter zu vergewaltigen. Oder sogar meinen Sohn. Und wissen Sie, was das Schlimmste ist, Miss Boyd?«
    Tina sah ihn an. »Was?«
    »Die Öffentlichkeit glaubt, wir hätten hier das Sagen. Die Leute glauben, der Direktor und die Wärter bestimmen, wo’s langgeht. Aber wir haben hier überhaupt nichts zu melden. Die Häftlinge führen das große Wort. Im Augenblick können wir die Ordnung nur aufrechterhalten, indem wir sie mit Samthandschuhen anfassen und ihren Wünschen nachkommen. Wenn sie beschließen, unsere Befehle nicht mehr zu befolgen, dann tun sie’s einfach nicht mehr. Und fertig. So einfach ist das.«
    »Ich schätze, ich glaube Ihnen.«
    »Vielleicht würde es anders laufen, wenn Sie statt des Direktors den Laden hier schmeißen würden.«
    Er lächelte, um anzudeuten, dass

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