Bedrohung
auf einen Verdächtigen anzusetzen. Tinas Ansicht nach waren sechs schlimmer als gar keine Überwachung, denn das Risiko, bemerkt zu werden und alles zu ruinieren, war immens hoch.
Nach einer Weile fuhren sie an der angegebenen Adresse vorbei. Jetmir Brozi bewohnte ein ansehnliches georgianisches Stadthaus in einer mit Herbstlaub bedeckten Wohnstraße nahe der Liverpool Road.
»Nicht schlecht für einen Gangster, der schon vor Jahren hätte ausgewiesen werden sollen.«
Dreißig Meter vom Haus entfernt fanden sie eine Parklücke, von der aus sie das Haus beobachten konnten. Nun mussten sie nur noch auf den Gerichtsbeschluss warten, der die verdeckte Aktion einschließlich des Anbringens von Kameras und Abhörgeräten genehmigte. Normalerweise dauerte so etwas Tage, doch Bolt hatte seinen Chef, Commander Thomas Ingrams, den Leiter des CTC , gebeten, alles Menschenmögliche zu tun, um die Sache zu beschleunigen. Und angesichts Brozis krimineller Vergangenheit hofften sie, jeden Augenblick grünes Licht zu bekommen.
Bolt und Tina warteten schweigend und lauschten dem Funkverkehr des Beschattungsteams, das Brozi durch den dichten Verkehr auf der Pentonville Road folgte. Tina erkannte ein paar Stimmen; sie gehörten Kollegen, mit denen sie zusammengearbeitet hatte. Tina fragte sich, ob sie ihnen nachher wohl begegnen würde.
Schließlich wandte sie sich an Bolt. »Erzähl mal, Mike, was macht dein Privatleben? Bist du immer noch mit dieser jungen Frau zusammen? Der, mit der du verlobt warst?«
»Claire? Das hat nicht funktioniert.« Bolt zuckte mit den Schultern. »In unserem Job ist es nicht gerade einfach, eine intakte Beziehung zu führen.«
»Stimmt, aber unmöglich ist es nicht. Wie kommt’s, dass ihr euch getrennt habt? Ich dachte, du hättest gesagt, sie wäre deine große Liebe?«
»Mein Gott, Tina, was soll das? Heiteres Beziehungsraten?«
Nun war es an ihr, mit den Schultern zu zucken. »Interessiert mich eben.«
Aber es ging darüber hinaus. Interessiert war sie an ihm. Sie wollte herausfinden, weshalb ein groß gewachsener, charismatischer Typ wie Bolt keine längere Beziehung führen konnte. Sie wollte wissen, ob er immer noch alten Geschichten nachhing. Der Grund dafür war einfach. Seit sie ihn heute Morgen nach zwei Jahren wiedergesehen hatte, waren ihre alten Gefühle für ihn wieder aufgeflammt.
»Egal«, sagte er und drehte den Spieß um. »Was macht dein Liebesleben?«
Sie lachte. »Existiert nicht. Wenn es darum geht, eine Beziehung am Köcheln zu halten, bin ich mindestens genauso talentiert wie du. Da halte ich besser keine Vorträge. Von meinem letzten Freund habe ich mich getrennt, weil er wollte, dass ich ihn fessle und auspeitsche. Unglaublich, was?«
»Ich bin seit mehr als fünfundzwanzig Jahren Cop, ich glaube alles.« Er grinste. »Dabei dachte ich, so was wäre ganz nach deinem Geschmack, Tina. Einen Typen zu versohlen, ohne Ärger zu kriegen.«
»Besonders schräg war, dass es ganz normal anfing. Er war wirklich ein netter Typ. Smart, gutaussehend. Hatte Geschmack.«
»Logisch.«
»Wir sind sogar nach Vancouver geflogen, damit ich seine Eltern kennenlerne. Und eines Tages erzählt er mir aus heiterem Himmel, dass er schon immer gerne dominiert werden wollte. Und fragt mich, ob er mich Mistress nennen darf, wenn wir allein sind.«
Nun lachten sie beide.
»Ich schätze, du würdest eine gute Mistress abge-ben.
»Anfangs habe ich versucht mitzuspielen – ich schätze, ich bin schon ein verspieltes Mädchen –, aber irgendwann wurde es ein bisschen blöd.«
Dann wurden sie still und sahen sich an. Tina erinnerte sich, wie nah sie dran gewesen war, mit ihm ins Bett zu gehen, und merkte, dass dies jederzeit wieder passieren konnte.
Die Stimme von Nikki Donohoe riss sie aus ihren Gedanken. »Zentrale an Alpha eins. Genehmigung für das Eindringen in das Haus des Verdächtigen erteilt. Die Dokumente schicke ich gerade per E-Mail. Over .«
»Alpha eins an Zentrale«, antwortete Bolt. »Empfangen und verstanden. Over .«
Laut den Funksprüchen des Beschattungsteams bewegte Brozi sich auf der Caledonian Road nordwärts, weg von seinem Haus – was bedeutete, dass sie eindringen und die Wanzen installieren konnten.
»Wer geht rein?«, fragte Bolt. »Du oder ich?«
Tina lächelte. »Darf ich? Du kennst mich doch. Ein bisschen Aufregung tut mir gut, und meine Einbrecherfähigkeiten sind noch ganz die alten.«
Bolt nickte. »Daran habe ich keinen Zweifel. Okay, ich warte hier.
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