Bedrohung
fühlte sie sich buchstäblich wie auf dem Gipfel der Welt. Sie konnte die Themse sehen, die sich im Bogen vor The Gherkin und dem Tower 42 entlangschlängelte, unter der Tower Bridge hindurchschlüpfte, neben der sich der Tower of London erhob, dann am Canary Wharf vorbeifloss, ehe ihre dunklen Wasser sich in der Ferne auf dem Weg zum Meer verloren.
»Ist es nicht wunderschön?«, sagte sie und drückte Matts Hand.
Er lächelte. »Dann war es die Überraschung also wert?«
Sie erwiderte sein Lächeln. »Oh ja, das war es. Vor ein paar Stunden habe ich noch Maddies Klamotten gewaschen und das Badezimmer gewischt. Und jetzt stehe ich hier mitten unter den Reichen und Schönen und trinke Champagner.«
Die Aussichtsplattform verlief rund um das Gebäude und erstreckte sich über drei Etagen. Auf der Hauptplattform im neunundsechzigsten Stock, wo sie und Matt jetzt standen, drängten sich die Gäste der Eröffnungsparty. Über ihren Köpfen und über der Open-Air-Plattform im zweiundsiebzigsten Stock konnte Gina die riesigen Glasscherben erkennen, aus denen die Spitzen des Wolkenkratzers zusammengesetzt waren, die sich wie eisige, ausgestreckte Finger in den Nachthimmel reckten.
Das Ganze war schier unglaublich. Zum ersten Mal in ihrem Leben wusste Gina nicht, wo sie zuerst hinschauen sollte. Sie hatte bereits mehrere TV -Prominente erkannt, einen bekannten Unternehmer und mehrere Fußballstars, die in kleinen Gruppen beieinanderstanden, während makellos uniformierte Kellner und Kellnerinnen zwischen ihnen umherhuschten und teuer aussehende Canapés anboten und noch teurer aussehende Drinks. Niemand schien die Bomben von heute Morgen auch nur zu erwähnen, weshalb Gina sich ein wenig komisch vorkam, weil sie sich solche Sorgen gemacht hatte. Zum Glück waren die Sicherheitsmaßnahmen beim Betreten des Gebäudes extrem aufwendig gewesen. Sämtliche Gäste mussten einen Metallscanner passieren und Frauen zusätzlich ihre Handtaschen durchsuchen lassen. Gina war erleichtert, dass, nachdem sie mit den Fahrstühlen nach oben befördert worden waren, alle aussahen, als würden sie dazugehören.
Sie bemerkte ein Fernsehteam, das die Veranstaltung filmte, und eine Reporterin, die mit dem Mikro in der Hand auf der Jagd nach Interviewpartnern war. Gina wandte sich schnell ab. Sie hatte keine Lust, sich vor den Augen des ganzen Landes im Fernsehen zu blamieren.
»Ich will dir ja nicht zu nahe treten«, sagte sie zu Matt und schmiegte sich an ihn. »Aber wie bist du an eine Einladung für so ein schickes Fest gekommen?«
»Weil ich hübsch, elegant und beliebt bin«, antwortete er.
Gina zog skeptisch eine Augenbraue in die Höhe, während er den Blick senkte und grinste.
»Ein paar von uns gewöhnlichen Burschen erhielten eine Einladung, weil wir einmal der Gemeinschaft einen Dienst erwiesen haben. Ich habe eine Tapferkeitsmedaille. Ich schätze, das hat gereicht.«
»Das hast du mir nie erzählt.«
»Du hast mich auch nie gefragt.«
Sie liebte Matts Bescheidenheit, und dass er es nicht nötig hatte anzugeben. Sie beugte sich vor und küsste ihn auf den Mund.
Er küsste sie leidenschaftlich zurück, und als sich ihre Lippen wieder trennten, musste er etwas in ihrem Gesicht gesehen haben, denn er zog sie an sich, schaute ihr in die Augen und sagte: »Ich wollte dich heute etwas fragen.«
Gina strahlte ihn an. Sie fühlte sich beschwingt, fast schwindelig, und das lag sicher nicht am Alkohol. Zum ersten Mal seit langer Zeit war sie mit ihrem Leben zufrieden.
In diesem Moment entstand bei den Fahrstühlen einige Unruhe. Gina drehte sich um und entdeckte ein halbes Dutzend Sicherheitsleute, die mit ernsthaften Mienen aus den Aufzügen drängten.
»Meine sehr verehrten Damen und Herren!«, begann der offenbar Dienstälteste, der schreien musste, um sich Gehör zu verschaffen, während sich seine Kollegen im Saal verteilten. »Ich fürchte, wir müssen die Feier für eine Weile unterbrechen. Die Aussichtsplattform wird evakuiert.«
Schlagartig wurde es still im Saal. Dann drängten alle in Richtung der Fahrstühle, und in dem Maße, wie Besorgnis und Furcht zunahmen, schwoll auch der Lärmpegel wieder an.
»Machen Sie sich keine Sorgen – es handelt sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme«, versuchte der Uniformierte die Gäste zu beschwichtigen. »Wenn Sie so freundlich wären, sich geordnet vor den Aufzügen anzustellen, dann sind wir alle umso schneller unten.«
Doch seine Stimme klang gepresst, und Gina sah, dass
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