Befehl von oben
Tür auf den übergroßen Korridor hinaus. Der Agent, der zuvor das Zimmer verlassen hatte, ein großer, kräftiger Schwarzer, weinte zehn Fuß entfernt. Ryan ging zu ihm hin.
»Sind Sie okay?«
»Scheiße – Verzeihung – ich meine – verflucht!« Der Agent schüttelte den Kopf, beschämt, daß er sich hatte gehenlassen. Als Special Agent Tony Wills zwölf Jahre alt war, hatte er seinen Vater verloren, wie Price wußte, durch einen Übungsunfall bei der Army. Er hatte in Grambling Football gespielt, ehe er zum Service kam, und war außergewöhnlich gut zu Kindern. Bei Gelegenheiten wie diesen schlägt Stärke bisweilen in Schwäche um.
»Sie müssen sich nicht entschuldigen. Auch ich habe Vater und Mutter verloren. Etwa zur gleichen Zeit«, fuhr Ryan fort, die Stimme aus Erschöpfung verträumt und zittrig. »Midway Airport, eine 737 setzte im Schneetreiben zu kurz auf. Aber ich wurde ganz erwachsen, als es passierte.«
»Ich weiß, Sir.« Der Agent wischte sich die Tränen ab, schüttelte sich und richtete sich auf. »Bin schon wieder in Ordnung.«
Ryan klopfte ihm auf die Schulter und ging zum Fahrstuhl. Zu Andrea Price. »Bringen Sie mich hier zum Teufel noch mal raus.«
Der Suburban fuhr nach Norden und bog nach links in die Massachusetts Avenue ab, die zum Naval Observatory führte und zum übergroßen viktorianischen Pfefferkuchenhaus, welches das Land dem amtierenden Vizepräsidenten zur Verfügung stellte. Auch hier stellten Marines die Wache. Sie ließen den Konvoi durch. Jack ging ins Haus.
Cathy empfing ihn am Eingang. Ihr genügte ein einziger Blick.
»Sehr schlimm?«
Ryan konnte nur nicken. Er hielt sie fest im Arm, wußte, daß er die Tränen nicht mehr lange zurückhalten konnte. Sein Blick erfaßte die Ansammlung von Agenten, die um die Eingangshalle des Hauses herum standen, und da wurde ihm klar, daß er sich an sie würde gewöhnen müssen, dastehend wie regungslose Statuen, anwesend auch in privatesten Augenblicken.
Ich hasse diesen Job.
*
Brigadier General Marion Diggs aber liebte seinen. Nicht jeder trat weg.
Wie die Marines in Washington bis zum letzten Mann im Einsatz waren und dann vom weitläufigen Stützpunkt in Quantico, Virginia, verstärkt wurden, gab es auch für andere Organisationen jede Menge zu tun, Leute, denen nicht erlaubt war zu schlafen – zumindest nicht allen auf einmal. Eine dieser Einheiten war in Fort Irwin, California. Der Stützpunkt lag in der Mojavewüste und erstreckte sich über ein Gebiet, das größer war als der ganze Staat Rhode Island. Die Landschaft war so trostlos, daß Ökologen Mühe hatten, im bißchen dürren Gestrüpp überhaupt eine Ökologie zu finden, und wenn sie etwas getrunken hatten, gestanden sogar die Idealistischen, daß die Oberfläche des Mondes interessanter wäre. Doch das konnte ihm das Leben nicht vermiesen, sagte sich Diggs und griff nach dem Fernglas. Es gab hier eine spezielle Art Wüstenschildkröte, die sich irgendwie von anderen Schildkröten unterschied (der General hatte keine Ahnung, wodurch) und die sie zu schützen hatten. Um das zu gewährleisten, hatten die Soldaten sämtliche Schildkröten, die sie finden konnten, eingesammelt und in einem Gehege wieder ausgesetzt, das so groß war, daß die Reptilien sicher den Zaun nicht merkten. Man bezeichnete dies als das größte Schildkrötenbordell der Welt. Was es in Fort Irwin sonst noch an Getier gab, konnte gewiß auf sich selber aufpassen. Gelegentlich tauchte ein Kojote auf und verschwand wieder, und das war's. Im übrigen waren Kojoten keine gefährdete Art.
Die Besucher waren es. In Fort Irwin war das National Training Center – NTC – der Army beheimatet. Ständige Insassen stellte der gegnerische Verband-OpFor, ›Opposing Force‹. Ursprünglich zwei Bataillone, eine Panzertruppe, das andere motorisierte Infanterie, hatte sich OpFor einst selbst den Namen 32. Garde-Mot-Schützenregiment gegeben, eine sowjetische Bezeichnung, denn das NTC wurde 1980 zum Zweck gegründet, Soldaten der U.S. Army beizubringen, wie man auf europäischem Boden in einer Schlacht gegen die Rote Armee kämpfte, überlebte und obsiegte. Die Soldaten des ›32.‹ trugen Uniformen nach russischem Muster, fuhren sowjetmäßiges Gerät (echte russische Fahrzeuge hatten sich als zu schwierig zu warten erwiesen, und so hatte man amerikanischen Fahrzeugen sowjetische Formen verpaßt), gingen nach sowjetischer Taktik vor und setzten ihren ganzen Stolz daran, mit den Einheiten, die
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