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Behalt das Leben lieb

Behalt das Leben lieb

Titel: Behalt das Leben lieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaap Ter Haar
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ernste Fehler gemacht.«
    Wieder sahen Vater und Mutter sich an. Beinahe erleichtert. Es war also nicht so verwunderlich, dass sie unsicher geworden waren.
    »Kann er, wenigstens vorläufig, intern herkommen?« Vater hatte den Knoten endlich durchgehauen.
    »Das geht. Wann hatten Sie gedacht?«
    »Wenn es geht, so bald wie möglich«, sagte Mutter und zum ersten Mal zitterte ihre Stimme.
    Eine Viertelstunde später standen sie an der Bushaltestelle; still, jeder in seine eigenen Gedanken versunken und auch ein bisschen durcheinander. Es war in vielerlei Hinsicht ein anstrengender, dramatischer Besuch gewesen. Sie hatten einen Blick in eine Welt getan, die ihnen zuvor ganz und gar unbekannt war. Doch der Direktor hatte ihnen die Gewissheit und die Hoffnung vermittelt, dass ein blindes Kind, wie jedes andere auch, eine Zukunft hat.
    »Unser Beer ist nicht der Einzige«, sagte Vater, weil er spürte, dass Mutter sich nicht gut fühlte. Es gab 17 000 Blinde in Holland – wenn auch ungefähr zwei Drittel das Augenlicht als ältere Menschen verloren hatten. Und das war nur ein kleiner Teil der Blinden auf der ganzen Welt. Fünfunddreißig Millionen Blinde gab es auf der Erde.
    »Liebes, wir werden so bald wie möglich in dieNähe der Blindenanstalt ziehen. Und dann kommt Beer wieder zu uns ins Haus.«
    »Und deine Arbeit? Wie soll das gehen?«
    »Das Wichtigste kommt zuerst. Vielleicht bekomme ich im nächsten Jahr vom Geschäft ein Auto. Dann kann ich von hier bequem hin und her fahren. Und wenn nicht, dann find ich ja wohl auch noch eine Bahn in dieser Gegend.«
    »Das ist sehr lieb von dir«, sagte Mutter dankbar und war plötzlich gerührt. Sie spürte nun sehr stark, dass ihre Ehe nicht an einem seidenen Faden hing, sondern an einem starken Seil.
    Der Bus hielt. Sie stiegen ein. Als der Bus abfuhr, saßen sie schweigend nebeneinander. Beide waren mit der gleichen Frage beschäftigt: Wie sollten, wie konnten sie Beer das alles beibringen? Vater und Mutter wussten noch nicht, dass sich dieses Problem inzwischen schon gelöst hatte.

10
    »Kann der Koffer zugemacht werden?«, fragte Vater.
    »Ich glaube, ja«, antwortete Mutter, während sie noch einen letzten Blick durchs Zimmer schweifen ließ.
    Der Koffer lag gepackt auf dem Bett. Beer klappte den Deckel zu und Vater brachte den Koffer nach unten.
    »Ich mach mir noch schnell mein Haar«, sagte Mutter. Als sie aus dem Zimmer ging, ließ sie ihre Hand über Beers Wange gleiten.
    Die letzten Minuten zu Hause. In wenigen Augenblicken würde Onkel Willem kommen, um sie mit dem Auto abzuholen. Beer stand neben seinem Schreibtisch am Fenster. Er dachte an die zurückliegenden Wochen und es kam ihm vor, als hätte er eine Reise zu einem anderen Kontinent unternommen. Oder als wäre er in einem vollkommen anderen Leben angekommen. Der Kontinent eines Blinden war vielleicht nur klein. Doch die Reise war lang und anstrengend gewesen. Eine Reise durch die Dunkelheit. Eine Fahrt durch die Tiefen des Lebens. Aber dennoch auch eine Entdeckungsreise, weil er in den vergangenen Wochen so viel über sich, die Menschen und das Leben gelernt hatte.
    Als Vater und Mutter von der Blindenanstalt zurückgekehrt waren, hatte Beer sie an der Tür abgefangen. Nach den quälenden Augenblicken im Park hatte er sich schließlich fest vorgenommen, das Unvermeidliche in Ruhe auf sich zu nehmen. Da er kein Drama daraus machte, ersparte er sich und seinen Eltern viel Kummer.
    Merkwürdigerweise war der bevorstehende Umzug nach Bussum am schlimmsten – jedenfalls äußerlich – für Tjeerd.
    Er hatte es erst gar nicht glauben wollen und dann bestürzt protestiert:
    »Nein, Beer . . . nein, das ist nicht dein Ernst!«
    »Wir sehen uns an den Wochenenden.«
    »Aber . . . aber das gibt es doch gar nicht. Wir sind mit der Arbeit gerade so gut vorwärtsgekommen. Und was sollen wir jetzt mit dem Zustellbezirk machen?« Hatte Tjeerd Angst, in seine frühere Isolation zurückzufallen?
    An diesem Morgen beim Frühstück, als Annemiek sich vor ihrem Schulweg von Beer verabschieden sollte, verlor sie die Fassung.
    »Tschüss, Beer, ich hoffe . . .« Und plötzlich brach sie in Tränen aus.
    »Na, na, ist ja halb so schlimm«, hatte Beer sie getröstet.
    »Sieh mal«, hatte Vater sich eingeschaltet, »Beer kommt jedes Wochenende nach Hause, genau wie die Jungen, die Militärdienst tun.«
    Dienst tun, hatte Beer gedacht. Wie gut drückte dieses Wort aus, was er jetzt vor sich hatte. Es passte auch zu den

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