Bei Landung Liebe
aber nicht sondern balancierte mit seinem Stuhl auf zwei Beinen.
„Klauen ist der falsche Ausdruck. Ich würde es eher als ausleihen bezeichnen.“
Beschämt stocherte ich in meinen Spaghetti herum.
„Also wenn du dir meine Bananenmilch, ohne zu Fragen ausleihst, solltest du den leeren Becher nicht ganz oben im Plastikmüll deponieren.“
Ich murmelte etwas Unverbindliches und malträtierte meine Nudeln mit der Gabel. Der Appetit war mir vergangen.
„Ausleihen also?“
„Ich kauf dir morgen zwei neue. Versprochen.“
„Na gut. Das lass ich dann noch einmal durchgehen.“ Lustlos schob ich meine restlichen Nudeln auf dem Teller hin und her.
„Hast du in zwei Wochen schon was vor?“
Verwundert sah ich ihn an. Ryan betrachtete seine Fingernägel. Meinte er wirklich mich?
„In zwei Wochen? Nicht dass ich wüsste, warum?“
„Ich habe vorige Woche mit meinem Dad telefoniert. Er feiert Geburtstag, und weil ich jetzt schon eine Weile hier bin und wir uns seitdem nicht mehr gesehen haben, hat er mich eingeladen, auf seine Feier zu kommen.“
„Und was hat das jetzt mit mir zu tun?“
„Wie gesagt, er gibt eine kleine Party, nicht Großes. Ein paar Leute, wir werfen Steaks auf den Grill und trinken Bier.“
Ich sah Ryan fragend an. Auf was zur Hölle wollte er hinaus?
„Heute bekam ich Post von ihm. Da er sichergehen wollte, dass ich komme, hat er mir mein Flugticket zugeschickt.“
„Das ist doch super. Wenn es darum geht, wer das Treppenhaus in der Zeit für dich kehrt, kann ich dich beruhigen. Gegen ein paar Gefälligkeiten übernehme ich das.“
Deswegen druckste er so herum? Das konnte doch nicht wahr sein.
„Nein, Isa. Das wollte ich damit nicht sagen. Mein Vater hat mir zwei Tickets geschickt.“
„Zwei Tickets?“
„Ja, das zweite war für Markus gedacht, aber er wird wohl wegen der Reha nicht mitfliegen können.“
„Markus soll nächste Woche in die Rehabilitationsklinik verlegt werden. Dort wird es aber noch circa drei Wochen dauern, bis man sagen kann, wann er wieder nach Hause kommt.“
„Das sagte er mir auch. Aber ich fände es schade, wenn ich das zweite Ticket einfach verfallen lassen müsste.“
Ryan räusperte sich. Konnte er nicht endlich zum Punkt kommen? Allmählich wurde ich ungeduldig.
„Daher dachte ich, dass du vielleicht mitfliegen magst?“
Hatte ich eben richtig gehört? Ryan bot mir eben ein Flugticket in die USA an? Ich mit ihm in einem Flieger zu seinem Vater?
„Ich?“, fragte ich ihn ungläubig.
„Rückflug ist auch inklusive. Es würde dich keinen Cent kosten.“
„Ryan, das kann ich nicht annehmen“, erwiderte ich und schüttelte energisch den Kopf.
„Warum nicht?“
Ja, warum nicht? Vielleicht, weil Ryan vor wenigen Wochen noch so etwas wie mein Feind war? Aber dieser Feind hatte sich die letzten Wochen von einer Seite gezeigt, die ich nie bei ihm vermutet hätte. Allein sein Trost, als Markus im Krankenhaus lag, die T-Shirts, die ich mit meinen Tränen durchnässen durfte und die Art, wie er mich fest im Arm hielt, als ich genau diesen Halt brauchte.
„Du musst nur sechs Tage Urlaub nehmen. Wir fliegen in der letzten Oktoberwoche Freitagmorgen los. Eine Woche später fliegen wir samstags wieder zurück. Die Feier ist erst an dem Freitag vor unserem Rückflug, aber im Flugzeug können wir uns immer noch genug ausruhen.“
„Du hast dich schon gut informiert“, stellte ich nüchtern fest.
„Komm mit, Isa. Das wird Spaß machen.“
„Ich kann meinen Bruder doch nicht ausgerechnet jetzt alleine lassen.“
„Isa, dein Bruder ist bis dahin in der Reha-Klinik. Denkst du nicht, dass er dort gut versorgt wird? Was willst du schon von hier aus für ihn tun? Die Leute dort sind Profis. Die haben tagtäglich mit solchen Fällen zu tun.“
Das stimmte wohl. Trotzdem war ich noch nicht ganz überzeugt. Sicherlich bot sich hier eine einmalige Gelegenheit. Ich bekam das Flugticket geschenkt und auch für die Übernachtung mussten wir gewiss nichts bezahlen.
„Aber was ist, wenn Markus etwas braucht? Wenn ihm etwas Wichtiges fehlt?“
„Isa, wenn deinem Bruder etwas Wichtiges fehlen würde, hätte er das in der Zeit, die er jetzt schon im Krankenhaus liegt, sicherlich bemerkt. Deine Argumente werden immer schwächer.“
Ryan legte die Hände hinter seinen Kopf, lehnte sich auf dem Stuhl nach hinten und ich konnte durch das dünne T-Shirt, das er trug, sehen, wie er seine Brustmuskeln spielen ließ. Fasziniert sah ich ihm dabei zu.
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