Bei Tag und Nacht
gegenüber. Er hatte sich genommen, was er wollte, jetzt würde er sie den Konsequenzen allein überlassen. Elissa biß sich auf die Unterlippe, versuchte, nicht zu weinen, aber plötzlich schien ihr das alles zuviel.
Karl und Steigler. Adrian, der ihr die Unschuld nahm. Die Mühe, die sie sich gab, um sich nicht in ihn zu verlieben. Sie schwankte, lehnte sich an das Sofa, ein Schluchzen entrang sich ihrer Brust, sie hob eine Hand, um die Tränen wegzuwischen, die jetzt über ihre Wangen rannen.
Adrian murmelte einen Fluch. »Verdammt, hör auf zu weinen. So schlimm war das doch gar nicht, was du getan hast.« Er trat einen Schritt vor, faßte sie an den Schultern und drehte sie zu sich herum. Angesichts ihres verzweifelten Gesichtsausdrucks wurde sein harter Griff weicher, und betroffen kniff er jene sinnlichen, schonungslosen Lippen zusammen.
»Bleib hier«, wies er sie an. »Schließ die Tür hinter mir ab, und laß keinen herein, bis ich wieder da bin.«
Hoffnung regte sich in ihr. »Kommst du zurück?«
»Ich habe wohl kaum eine Wahl - Kopf hoch, meine Liebste!«
Zitternd legte sie die Hände an seine Brust. »Bring mich nach Hause, Adrian. Bitte ... ich will nur . .. nur noch nach Hause.«
Er brummte etwas, das sie nicht verstand, löste sich sanft von ihr und trat zurück. »Bleib jetzt hier - und hör auf zu weinen, herrje!«
Sie wischte sich die Tränen von den Wangen, folgte ihm zur
Tür und verschloß sie hinter ihm. Dann wartete sie unruhig auf seine Rückkehr. Es schien Stunden zu dauern, bis er mit ihrem Umhang wiederkam, obwohl es sich höchstens um fünfzehn Minuten handelte. Sie war so erleichtert, daß ihr schwindelte.
»Ich habe mit der Herzogin gesprochen«, berichtete er und legte den Umhang um ihre Schultern. »Sie weiß jetzt, daß du dich nicht wohl fühlst und ich dich nach Hause begleite. Du wirst also entschuldigt, wo nötig.« Er zog ihr die Kapuze über den Kopf, die ihr tränennasses Gesicht verdeckte. »Es gibt einen Seitenausgang. Meine Kutsche wartet dort. Gehen wir.«
Ein Lächeln stahl sich auf ihre Miene. Sie hätte wissen müssen, daß er sie nicht einfach im Stich ließe. Es war seine Schuld, daß es so weit gekommen war - aber eigentlich hatte sie es selbst auch gewollt. Sie nahm seinen Arm, und schon nach wenigen Minuten saß sie wohlbehalten in der Kalesche.
Sie betrachtete ihn unter dem Rand ihrer Kapuze hervor, wußte nicht, was sie sagen sollte, plapperte trotzdem einfach drauflos. »Es ist noch früh, sicher wirst du zum Ball zurückkehren, oder?«
Er lächelte dünn. »Angesichts unseres unvorhergesehenen Aufbruchs wäre das allerdings ratsam!«
Elissa antwortete nicht. Im Innersten war sie froh, daß ihr noch einmal das Wagnis mit Steigler erspart geblieben war. Sie fragte sich, wie er auf ihr Verschwinden reagieren würde, und wenige Augenblicke später erwähnte Adrian seinen Namen.
»Ich weiß, daß es im großen und ganzen deine Sache ist, was du tust; aber ich möchte, daß du Steigler aus dem Weg gehst. Es gibt da Dinge, die du nicht weißt, mit denen du - wenn man deine beschränkte Erfahrung in Männerangelegenheiten bedenkt - wahrscheinlich nicht umgehen kannst.«
Plötzlich schauderte sie es. »Was - was für Dinge?«
Adrian runzelte die Stirn. »Zweifellos begehrt Steigler dich. Er will dich erobern und ist rücksichtslos im Durchsetzen seiner Wünsche.«
Darauf konterte sie: »Und das seid Ihr nicht, Colonel Kingsland?«
Seine Mundwinkel hoben sich. Im Licht einer Straßenlaterne trafen sich ihre Blicke. »Touche!« Er lehnte sich im Sitz zurück. »Ich gebe zu, daß ich Erfolg gewohnt bin, aber ich habe noch nie eine Hand gegen eine Frau erhoben. Die nächtlichen Aktivitäten eines Mannes bleiben natürlich ihm selbst überlassen; deswegen habe ich bisher noch nichts dazu gesagt. Höre nun doch die Wahrheit: Es macht Steigler Spaß, Frauen weh zu tun. Gewöhnlich ist er bereit, für sein Vergnügen zu bezahlen; aber das bedeutet nicht, daß er sich nicht skrupellos nehmen würde, was er will, wenn jemand Widerstand leistet. Und ich möchte nicht, daß dir etwas zustößt, Elissa.«
Sie schaute aus dem Fenster, und plötzlich war ihr kalt bis ins Mark. Ihre Stimme blieb aber ruhig, als sie erwiderte: »Vielen Dank für Eure Besorgnis, Colonel; ich werde daran denken.«
Adrian fluchte leise. Er beugte sich vor, packte sie bei den Schultern und schüttelte sie, bis ihr die Kapuze vom Kopf rutschte. »Geht ihm aus dem Weg, Gräfin - habt Ihr
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