Bei Tag und Nacht
Frau, die eine englische Schauspielerin war und ein paar Jahre älter als die bewußte; diese muß seine zweite Gemahlin sein.«
Adrian dachte darüber nach. Möglich. Oder freie Erfindung.
»Wißt Ihr etwas über diese zweite Frau oder die Kinder der ersten?«
»Noch nicht. Jedoch plane ich eine Fahrt nach Mariazell. Dort werde ich sicher einiges erfahren.«
Adrian nickte, und es tat ihm leid, sich mit so wenig zufriedengeben zu müssen. Er stand auf und verabschiedete sich. »Ihr wißt ja, wo Ihr mich findet, wenn sich etwas Interessantes ergibt.«
»Selbstverständlich, Herr Graf! Vielleicht werdet Ihr auch aus London etwas erfahren.«
»Kann sein.« Aber eigentlich glaubte er das nicht, vor allem nicht rechtzeitig. Der Krieg war in nächste Nähe gerückt, er durfte nicht mehr lange schweigen. Wie lange würde er es noch hinauszögern, bevor sein Pflichtbewußtsein siegte?
Hoffentlich enthüllte sie ihm bald die Wahrheit.
Nach dem Abendessen saß Jamison im Salon ihres Standpalais und sah zu, wie Adrian grübelte, Cognac trank und die lange Zigarre vergaß, die im Aschenbecher neben ihm qualmte. Seine Stirn war gerunzelt, sein Kinn angespannt, und sein Blick wirkte müde. Seit ihrer Kinderzeit hatte er ihn nicht mehr so abwesend erlebt: damals, wenn Adrian der Familie in Kent einen seiner jährlichen Kurzbesuche abstattete - danach saß er niedergedrückt im Schlafsaal und hielt sich vor Augen, wie seine Mutter ihn stets mißachtete und sein Vater ihn beschimpfte.
Aber Jamie wußte Bescheid. Am Schluß gelang es ihm immer, Adrian zum Sprechen zu überreden, wodurch sich seine Stimmung gewöhnlich aufhellte.
»Sie hassen mich«, pflegte er dann herauszuplatzen. »Mein Vater findet mich nur lästig und tut so, als wäre ich gar nicht da. Aber Dickie lieben sie!« Das war Adrians älterer Bruder. »Der muß nie weg und darf daheim mit Hauslehrern lernen. Warum mögen sie mich nicht, Jamie?«
»Aber sie müssen dich gern haben, wo sie dir doch eine ganze Armee von Zinnsoldaten geschenkt haben, Adi.«
»Die kannst du haben«, murmelte Adrian damals. »Ich will nur, daß Mutter und Vater mich mögen. Ich will Eltern, wie die anderen Kinder sie haben.«
Was ihm leider verwehrt war ... Jamison wußte nicht recht warum, aber Adrian hatte eigentlich nie eine Familie gehabt. Genau wie er sagte, liebten sie Dickie Kingsland - obwohl Jamison das völlig unverständlich fand. Richard war mager und schwach und nicht besonders klug gewesen. Einen mutigen, intelligenten Sohn wie Adrian verdienten diese Eltern einfach nicht, was Jamison ihnen auch einmal eröffnete, worauf er Hausverbot erhielt.
Jetzt waren Adrians Eltern tot und Dickie desgleichen. Adrian hatte seine einsame Kindheit hinter sich gelassen, und nur noch einmal, nach vielen Jahren, waren die alten, dunklen Gefühle wieder in ihm hochgekommen. Jamison fragte sich, worüber er wohl diesmal grübelte.
»Willst du mir nichts erzählen, Adrian?«
Ruckartig hob er den Kopf. »Es ist nichts Wichtiges.«
»Sieht aber eher aus, als hätte dich irgendwas ziemlich erwischt. Du weißt doch, daß es dir immer bessergeht, wenn du es los wirst.«
Adrian seufzte und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Es ist die junge Tauber.«
»Die junge Tauber? Du meinst die Gräfin?«
Er nickte und schaute noch finsterer drein. »Von wegen Gräfin! Glaube ich niemals! Sie war Jungfrau, als ich sie das erste Mal geliebt habe. Das heißt für mich, daß sie noch nie einen Mann hatte und erst recht nie verheiratet war.«
»Das Mädchen war unschuldig? Heilige Maria!«
»Genau. Ich wußte es nicht - leider; aber offengestanden weiß ich nicht, ob ich mich dadurch hätte abhalten lassen . ..«
Jamison schwieg. Er kannte seinen Freund gut genug, um zu wissen, daß er recht hatte. Dessen Verlangen überstieg alles bisher Dagewesene. Adrian rieb sich mit einer Hand das Ge-sicht, die Unruhe in seinem Blick ließ sich jedoch nicht beseitigen.
»Da muß aber noch was sein«, beharrte Jamison. »Das kannst du mir ruhig genauso verraten.«
Verzweifelt brummte Adrian vor sich hin. Sein Blick war auf die Wand gegenüber gerichtet. »Ich glaube, sie ist die Spionin, die Ravenscroft sucht.«
»Was für ein Unsinn! Du hast eben gesagt, sie ist erst seit kurzem eine Frau, die du auch mehrmals persönlich für naiv erklärtest. Das hört sich kaum nach einer gefährlichen Spionin an.«
Adrian nahm einen großen Schluck Cognac. »Du glaubst ja nicht, wie gerne ich es als Irrtum erkennen
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