Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
dass jemand ohne Auto, den du erst ein paar Mal getroffen hast, dir einfach so siebzigtausend Dollar in die Hand drückt. Tut mir leid, wenn ich jetzt voll die Pessimistin raushängen lasse, aber ich versuche nur, dich zu schützen. Dieser, dieser Ahmed «, und an dieser Stelle betonte sie seinen arabischen Namen, »der führt noch irgendwas anderes im Schilde. Und zwar nicht, dich nach oben zu bringen. Du hast doch selbst gesagt, du hältst ihn für einen Lügner.«
»Er ist ein Lügner. Ich weiß, das klingt alles total verrückt. Aber er hat irgendeine psychische Störung. Pseudokrupp oder so was.«
Michelle gab mir eine Ohrfeige. Es war der erste ihrer vielen Gewaltausbrüche. »Mann! Jetzt schalt doch mal dein Hirn ein! Pseudologie meinst du, richtig? Also echt, manchmal hast du so viel Grips wie ein Sechstklässler.«
»Hey, warum schlägst du mich? Das hat echt weh getan. Ja, richtig, Pseudologie, ist doch scheißegal.«
»Tut mir leid, das wollte ich nicht. Du hast mich provoziert. Ich hab mich angegriffen gefühlt.« Beschämt legte sie den Kopf auf meine Brust. »Hören wir auf damit.«
»Hey, ist schon okay. Hat gar nicht weh getan.« Ich streichelte ihr übers Haar.
»Ich schäme mich so.«
»Baby«, flüsterte ich ihr in den Nacken. Ich wollte ihr sagen, was ich in diesem Augenblick für sie empfand. Sie hatte mich gerade ins Gesicht geschlagen, ihre Augen hatten mich verraten und für einen kurzen Moment wollte sie mich in Stücke reißen, und trotzdem fand ich ihr hitziges Temperament verführerisch. Meine Wange brannte noch – ich war noch nie von einer Frau geschlagen worden –, und jetzt, wo ihr Kopf auf meiner Brust lag, seltsam, ich glaube, da liebte ich sie. Ich gestand es ihr bloß nicht. »Baby«, hatte ich gesagt und beließ es dabei.
Nach unserem kleinen Streit hellte sich die Stimmung zwischen uns sofort wieder auf. Wie einfach das doch ist, wenn man frisch verliebt ist! Das Trösten, Streicheln und Entschuldigen auf ihrer Bettkante ging schnell in Küssen, Umarmen und schließlich in Fellatio über.
Später, als wir einander gegenüber auf der Seite lagen, unterdrückte ich erneut das Bedürfnis, ihr zu sagen, dass ich sie liebte. Wie gesagt, ihr nackter Körper forderte Ehrlichkeit. Aber ich widerstand und sah an ihrem geröteten Mund und ihrem offenen Herzen vorbei in eine Zimmerecke. Der Luftbefeuchter brummte leise vor sich hin, und als wir so dalagen, eingehüllt in Dampf, kam ich mir vor wie in irgendeinemFilmtraum. Was ich fühlte und wonach die Situation förmlich schrie, würde mir nicht über die Lippen kommen.
Michelle fragte, woran ich gerade dachte.
Chaostheorie, antwortete ich.
...
GANZE ZWEI MINUTEN
...
Obwohl unsere wöchentliche Dusche normalerweise sonntags stattfindet, ist es fast schon Gewohnheit, dass sie entweder einen Tag vorgezogen oder verschoben wird. Es ist barbarisch. Man beginnt ja schon nach achtundvierzig Stunden zu stinken, da können Sie in etwa erahnen, wie es ist, wenn man sich eine Woche lang nicht duscht.
Die Duschkabinen stehen im Freien und sind paarweise gebaut. Deshalb bekommt jeder von uns einen Duschpartner, aber man duscht nicht zusammen. Man steht bloß zu zweit in der Schlange und wartet auf die nächsten beiden freien Kabinen.
Mein gestriger Duschpartner sprach Englisch. Er hatte einen ausgeprägten britischen Akzent und sprach sehr verständlich. »Wie lange bist du schon hier?«, fragte er. Da das Reden laut Gefängnisordnung eigentlich untersagt ist, erstaunte es mich, dass der Wächter meines Duschpartners so tat, als hätte er nichts gehört. Ich sah den Soldaten an, der mich bewachte, und auch er hatte offenbar nicht vor, meinen Partner zu maßregeln. Die beiden ignorierten uns völlig, während wir auf unsere Dusche warteten.
»Ich heiße Riad. Ich bin Brite«, fuhr mein Duschpartner fort. »Wie heißt du?«
Erneut sah ich meinen Wächter an. Immer noch nichts.
»Boy«, sagte ich. »Ich bin seit drei Monaten hier.«
Riad nickte.
»Und wie lange bist du schon hier?«, fragte ich.
»Zwei Jahre.«
Ich glaubte, mich verhört zu haben. »Wie lange?«, fragte ich noch einmal.
»Zwei Jahre. Ach, länger noch. Meine Tochter war drei, als sie mich hierhergeschickt haben. Jetzt ist sie fünf. Sie geht schon zur Schule.« Er bemerkte das wie eine nüchterne Tatsache. »Aber vorher war ich schon ein Jahr in Bagram.«
Drei Jahre in Gefangenschaft! Wie furchtbar es doch ist, dass ich mir jetzt schon vorstellen kann, wie ein
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