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Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Gilvarry
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der Bühne herum und trugen Windeln. Mit den Zähnen rissen sie sie einander herunter, stürzten sich in Angriffsformation auf die Klettverschlüsse, die das Polyester zusammenhielten. Im weiteren Verlauf des Stückes bewarfen sich alle mit Mehl, und ihre bezaubernden Gesichter wurden weiß gepudert. Guatemala mit ihrem weiß bestäubten schwarzen Busch erhob sich mitten auf der Bühne und streckte die Hände in die Luft, während sich die anderen Darsteller um sie versammelten und auf dem Boden kauernd zu ihr hoch grapschten. Sie war eine Göttin, die nach dem Himmel griff, eine Außerirdische, die auf das Mutterschiff zurückkehrte. Sie war Klytämnestra 42 , die gleich ihre Kinder töten würde. Am Ende, in einem Wirrwarr aus Stimmen und Keuchen, brachen die Schauspieler sterbend aufeinander zusammen und bildeten einen großen, mit Löschkalk bedeckten, Leichenberg. Guatemala war die Letzte. Sie fiel auf den Rücken, und wie zwei aschgraue Flammen ragten ihre Achselhaare empor.
    Was könnte das wohl mit den Ermittlungen meines Special Agent zu tun haben?
    Diese Aufführung hat für mich nur deshalb eine Bedeutung, weil mir dabei eine Idee für meine erste New Yorker Kollektion kam. Meine Models würden mit weißem Gesicht über den Laufsteg marschieren, wie bei Comme des Garçons. Aber nicht gothic-artig weiß, sondern auf eine saubere, fast leere Weise. Ein weißes, lebloses Gesicht fing so vieles ein – Tod, Reinheit, Leid. All das würde sich in den Gesichtern meiner Models widerspiegeln, und es bliebe auch meiner ursprünglichen Vision von der Kollektion treu, die sich an das hippe, junge Williamsburg mit seiner zerstörerischen Schönheit anlehnen sollte.
    Nach der Aufführung gingen wir auf eine Party in einem der Wohnheime nicht weit vom Theater. Wir mischten uns unter die Schauspieler und das Team und betranken uns mit Rotwein aus Pappkartons. Die Luft war neblig und feucht von Haschischrauch. Ich lernte viele von Michelles Freunden kennen, und wir unterhielten uns über das Stück – die offene Bedeutung, die handlungslose Struktur, die Nacktheit und den künstlerischen Gehalt:
    »Erinnerst du dich an den Menschenhaufen am Ende? Ich lag links unten. Von der Bühne aus links.«
    »Von uns aus rechts.«
    »Ja, ich erinnere mich.«
    »Neben Jack.«
    »An Jack erinnerst du dich. Das war der mit dem großen Schwanz.«
    »Ach so! Ja klar, Jack. Wie konnte ich den vergessen? Entschuldige bitte. Ich hab dich nicht erkannt. Ich musste die ganze Zeit sein Riesenteil anstarren.«
    »Er macht nur Spaß. Das ist sein Sinn für Humor. Er ist Filipino. Das ist total arbiträr.«
    »Dass er Filipino ist oder dass er einen seltsamen Humor hat?«
    »Dass er einen seltsamen Humor hat.«
    »Obwohl ja das eine so arbiträr ist wie das andere.«
    Eine Schauspielerin, Poppy, kaute mir die ganze Zeit ein Ohr ab, aber ich war betrunken und allein schon von der Luft im Raum so high, dass ich ihr bald gar nicht mehr zuhörte. Auf einem Stuhl entdeckte ich eine Schale Wasabi-Algencracker und verlor mich ganz in dem Krachen in meinem Mund, während ich eine Hand voll nach der anderen hineinschlang. Es war unglaublich, wie klar man von dem Wasabi wurde. Die Schale rutschte mir aus den Händen, und die Cracker fielen auf den Boden. Poppy sagte, ich würde alles einsauen. Aber als ich hinabsah, erkannte ich ein Muster. Kleine, in dunkle Algen gewickelte Reiscracker auf schwarzen Bodenkacheln. Die Algenschüppchen waren natürliche Pailletten und reflektierten die Raumbeleuchtung. Ich legte eine Figur aus ein paar Crackern und machte mit meiner Handykamera Fotos für mein Moodboard. Poppy fragte, was das werden solle. Ich ignorierte sie. Als Michelle mich entdeckte, hockte ich immer noch auf dem Boden. Poppy erzählte ihr, ich hätte die Cracker verschüttet.
    »Er ist sonst nicht so.«
    Nachts beim Sex hatte ich den sauren Nachgeschmack von Bier auf den Lippen. Michelles Haut verströmte den Geruch einer Betrunkenen, aber sie war warm und feucht. Unsere Leiber sogen sich aneinander fest. Danach rauchten wir im Bett. Anschließend schliefen wir eine Weile. Irgendwann wachte ich vom Kribbeln ihrer rauen Stoppeln auf, das mein Bein hinauf und dann über meinen Penis wanderte. Ich ließ mich von Michelle auf die Matratze drücken. Dort unter ihrmusste ich wieder an die bemehlten Körper aus dem Theaterstück denken. An die baumelnden Schwänze und Guatemalas Achselhaare, die gepuderten Gestalten, die um ihr Leben stöhnten, und daran, wie

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