Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Mensch ein solches Martyrium überlebt. Dabei bin ich erst einen Bruchteil dieser Zeit hier. Als ich hier ankam, war ich mir sicher, das ist mein Ende. Finito . Das Feldbett aus Stahl, die dünne Matratze, kaum dicker als eine Yogamatte, ein Handtuch für den Kopf – was waren das bitte für Bedingungen? Zu Hause hatte ich in einem Futonbett von West Elm geschlafen, auf einem schwedischen Kopfkissen für $ 150, das sich den Konturen des Nackens anpasst. An meinem ersten Morgen im Niemandsland, als ich bei Sonnenaufgang die ersten Töne des Gebetsrufs hörte, glaubte ich, man hätte mich in eine Höllengrube geworfen. Aber recht bald merkte ich, dass meine Umgebung zu ertragen war. Ich konnte es aushalten. Ich weiß nicht, wie. Die faden Essensrationen, die ich durch den Schlitz meiner Zellentür geschoben bekam, hielten mich am Leben. Ich konnte tagelang schweigen, ohne dabei verrückt zu werden. Still sein war noch nie meine Stärke gewesen. Und trotzdem entdeckte ich, eingesperrt in meinem Käfig, dass ich es konnte. Was hatte ich für eine Wahl?
»Hattest du schon deine Gerichtsverhandlung?«, fragte ich Riad.
»Okay, vorwärts«, sagte mein Wächter. »Rein mit euch beiden.«
Wir wurden vorwärts gedrängt zu den Duschen und jeder in die für ihn vorgesehene Kabine geschickt.
Über den Duschkabinen gibt es kein Dach. Nur den freien Himmel, hell und heiß. Um diese Zeit steht die Spätsommersonne direkt über uns. Sobald wir drin sind, wird hinter jedem von uns die Tür verschlossen, dann drehen wir uns um, damit Hände und Füße durch den unteren Schlitz in der Kabinentür losgekettet werden können. Wir ziehen uns schnell aus und reichen die Uniformen durch den Mittelschlitz, denn ab jetzt haben wir nur zwei Minuten zum Duschen. Ganze zwei Minuten für etwas so Grundlegendes. Der Wächter reicht einem die Seife und ein Päckchen Shampoo. Dann ein Handtuch. Manche von uns bekommen auch kleine Plastikrasierer, je nachdem, ob man als kooperativ gilt oder nicht. Noch so eine Bestrafungstaktik, die sich als Nettigkeit tarnt. Man hat einfach nicht genug Zeit, um sich unter der Dusche zu rasieren, und die Klingen sind sowieso zu stumpf und tun weh.
Kaltes Wasser in den Duschen.
Trotz der unerträglichen Hitze hier im Niemandsland ist das Wasser einfach zu kalt, um es zu genießen. Der Atem beschleunigt und der Körper versucht, sich an die Temperatur zu gewöhnen, und für einen Moment hat man das Gefühl, man würde ersticken. Jeder, der einmal in einen kalten See gesprungen ist, kennt das Gefühl. Und voll auskosten kann man seine zwei Minuten Duschzeit auch nicht, weil es jedes Mal anders abläuft. Manchmal wird das Wasser schon abgestellt, während man sich noch einseift. »Die Zeit ist um!«, heißt es dann, obwohl die Zeit eigentlich noch nicht um ist. Und was kann man schon tun? Beschwer dich, so viel du willst, du musst raus.
Ich beginne jede Dusche auf die gleiche Weise und seife mir schnell die Achseln ein, dann die Brust, die Genitalien, den Anus und schließlich den Rest meines Körpers – Rücken, Seiten und Beine. Das Gesicht wasche ich mir nicht, das kannich später in der Zelle noch machen. Dasselbe gilt für die Füße. Zuletzt wasche ich mir mit dem Tütchen rosa Shampoo die Haare. Meistens wird irgendwann in dieser Phase das Wasser abgedreht, und ich habe viel lieber noch Shampoo in den Haaren als Seifenschaum am Körper. Auch die Haare kann ich mir in der Zelle fertig waschen. Ich schwelge in Fantasien über unbegrenztes Duschen, bei dem man alle Minuten der Welt hat. Ach, sich hinter den Ohren waschen! Sich zwischen den Zehen einseifen! Was für ein Luxus!
»Wo kommst du her?«, fragte mich mein Duschpartner über die Trennwand hinweg.
Ich drehte mich um und schaute meinen Wächter an, aber er hatte die Hände in die Seiten gestützt und sah in die andere Richtung.
»Bist du Amerikaner?«, fragte mein Duschpartner.
»Ich lebe dort«, antwortete ich.
»Ich war mal in Miami und Fort Lauderdale. Und in San Diego und Virginia.«
»Wann?«
»Ist schon Jahre her. Ich war als Austauschstudent an der University of Miami. In den Frühjahrsferien bin ich nach San Diego. Und in Virginia …«
»Reden verboten«, sagte Riads Wächter, fügte dann aber hinzu: »Seid leise.«
»In Virginia hab ich ein Mädchen besucht. Ich weiß gar nicht mehr, wie der Ort hieß. Noch nicht mal mehr, wie das Mädchen hieß.«
Ich lachte. Miami, San Diego, Virginia! Ich konnte nicht glauben, was mir dieser
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