Belgarath der Zauberer
Beldaran hütete nicht lange das Bett, und sie und Pol verbrachten viel Zeit zusammen. Ich glaube nicht, daß ich wirklich verstehen kann, wie schmerzhaft die Trennung für die beiden gewesen war. Manchmal, wenn Pol sich unbeobachtet fühlte, sah ich einen Ausdruck in ihrem Gesicht, der tiefsten Schmerz erahnen ließ. Beldaran war ihr unwiderruflich genommen worden – zuerst von ihrem Ehemann, dann von ihrem Baby. Sie hatten beide verschiedene Wege eingeschlagen, und es gab nichts, was sie dagegen hätten tun können.
Algar Flinkfuß ging nach etwa einer Woche nach Vo Wacune, um dort mit dem wacitischen Herrscher zu sprechen. Offensichtlich hatte der Gedanke, der ihm auf dem Bergpaß gekommen war, seine Phantasie beflügelt. Nun wollte er herausfinden, ob es wirklich möglich wäre, eine Messe zum Verkauf von Rindern in Muros zur ständigen Einrichtung machen zu lassen. Rinder zu züchten ist wohl eine interessante Aufgabe, aber sie auch zu verkaufen bringt gewiß Probleme mit sich. Hätte ich Algars Idee etwas mehr Beachtung geschenkt, wäre mir sicher klargeworden, wie grundlegend sie den Lauf der Geschichte verändern würde. Die Steuern, mit der diese Messe belegt wurde, finanzierten die militärischen Unternehmungen der Waciter während der arendischen Bürgerkriege, und die Gewinne, die in Muros erzielt wurden, garantierten die dortige tolnedrische Präsenz. Schließlich war der Handel mit Rindern gewiß auch ausschlaggebend für die Gründung Sendariens. Ich vertrat stets die Meinung, daß der Gedanke, wirtschaftliche Hintergründe für politische Ereignisse zu suchen, die Sache zu sehr vereinfachte; aber in diesem Fall traf es bestimmt zu. In der Zwischenzeit hielt ich mich stets in der Nähe meiner kleinen Familie auf, in der Hoffnung, meinen Enkel einmal wieder in den Arm nehmen zu können. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie schwierig das war. Er war Beldarans erstes Kind, und sie behandelte es wie einen neuen Körperteil. Wenn sie ihn nicht auf dem Arm hielt, trug ihn Polgara. Dann war Riva an der Reihe. Anschließend mußte Beldaran ihn wieder füttern. Sie reichten ihn weiter wie Spieler einen Ball, und in ihrer kleinen Runde war kein Platz für einen weiteren Teilnehmer. Schließlich sah ich mich gezwungen, Schritte zu unternehmen. Ich wartete auf die Nacht, schlich mich an die Wiege und nahm den kleinen Daran heraus. Dann stahl ich mich wieder davon. Alle Großeltern empfinden ihren Enkelkindern gegenüber große Zuneigung, aber in meinem Fall gab es noch etwas anderes zu tun, als nur das Magenkribbeln zu befriedigen. Daran war das greifbare Ergebnis einer Anweisung, die mein Meister mir gegeben hatte, und ich mußte eine Weile mit ihm allein verbringen, um festzustellen, ob ich es richtig gemacht hatte.
Ich trug ihn in den Wohnraum, in dem eine einzige Kerze brannte, hielt ihn auf meinem Schoß und blickte ihm direkt in die schläfrigen Augen. »Nichts ist wirklich so wichtig«, flüsterte ich ihm zu. Ich weigere mich, mit einem Baby anders zu sprechen als mit einem Erwachsenen. Ich empfinde es als Beleidigung. Natürlich war ich sehr vorsichtig mit dem, was ich tat. Der Verstand eines Babys läßt sich außerordentlich leicht formen, und ich wollte meinem Enkel keinen bleibenden Schaden zufügen. Ich suchte sehr vorsichtig -berührte gewissermaßen nur mit den Fingerspitzen die Grenzen seines Bewußtseins. Die Verbindung meiner Familie mit der Rivas sollte einen sehr bedeutenden Menschen hervorbringen, und ich mußte Darans Potential ergründen.
Ich wurde nicht enttäuscht. Sein Verstand war noch ungeformt, arbeitete jedoch sehr schnell. Ich glaube, daß er ein wenig mitbekam von dem, was ich tat, und er lächelte mich an. Ich unterdrückte das Verlangen, vor lauter Freude aufzuschreien. Er würde seinen Weg gehen. »Wir werden uns später besser kennenlernen«, sagte ich ihm. »Ich wollte dich heute nur kurz begrüßen.« Dann ging ich mit ihm zurück in sein Kinderzimmer und legte ihn wieder in die Wiege.
Danach sah er mich oft an und lachte stets, wenn ich ihm zuzwinkerte. Riva und Beldaran fanden das reizend. Polgara jedoch nicht. »Was hast du mit dem Baby gemacht?« fragte sie mich eines Abends, als sie mich nach dem Essen allein in der Halle antraf.
»Ich habe mich ihm vorgestellt, Polgara«, erwiderte ich. »Ich bin der Großvater des Jungen. Es ist ganz natürlich, daß er mich mag.«
»Warum lacht er dann, wenn er dich ansieht?«
»Weil ich ein lustiger Bursche bin, nehme ich an.
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