Belgarath der Zauberer
zunächst keine Bedeutung zu haben. Ich ging mit der Rolle ans Fenster und nutzte das Sonnenlicht um alles deutlich lesen zu können. Es war zu erkennen, daß einer der Schreiber das Wort ›sie‹ ausradiert und statt dessen ›es‹ eingefügt hatte. Die drei Schreiber hatten sich vermutlich abgesprochen, und derjenige, der das ›sie‹ geschrieben hatte, war überstimmt worden. Vielleicht war er aber doch im Recht gewesen. Wenn man in unserem Teil der Welt von einem weiblichen Reptil spricht, kann es sich nur um eine Schlange handeln, und das bedeutet, daß von Salmissra die Rede war.
Ich las weiter. »Denn schwer lastet das Alter auf dem Wächter, und er wird das Reptil nicht bemerken. Das Gift dieser Kreatur wird ihm das Herz gefrieren lassen und die Herzen all seiner Nachkommen. Eile, Altehrwürdiger und Geliebter. Das Leben des letzten Nachkommens des Wächters ist in tödlicher Gefahr. Rette ihn, sonst ist alles verloren, und fortan wird die Finsternis regieren.«
Voller Entsetzen starrte ich auf diese Zeilen.
Gorek der Weise, König von Riva und Wächter des Orb, war ein sehr alter Mann, und die tolnedrischen Straßen waren in sehr schlechtem Zustand; außerdem gehörte Salmissra noch nie zu den Leuten, denen man trauen konnte.
Das alles war zwar recht dürftig, aber die Worte schienen in meinem Kopf widerzuhallen; deshalb hetzte ich die Treppe meines Turmes hinunter und nahm dabei vier Stufen auf einmal.
Ich mußte sofort zur Insel der Winde.
32. K APITEL
ch hatte das Bild des Falken in meinem Kopf geformt noch ehe ich am Fußende der Treppe angelangt war, und sobald ich den Turm verlassen hatte, ließ ich mir Federn wachsen. Falken sind schneller als die meisten Vögel, und das heftige Schreien in meinem Kopf hatte mich überzeugt, daß Schnelligkeit hier angebracht war. Ich flog nicht gern – daran hat sich auch nie etwas geändert –, doch ich habe im Laufe der Jahre viele Dinge getan, die mir nicht gefielen. Wir tun, was wir tun müssen, ob wir es nun wollen oder nicht.
Ich glaube, es ist mir gar nicht in den Sinn gekommen, Polgara nicht mitzunehmen. Ich fühlte, daß sie etwas Wichtiges zu tun hatte, sobald wir auf der Insel der Winde angekommen waren. Zwar wußte ich nicht, was es war, aber ich wußte, daß es fatal wäre, ohne sie zu reisen.
Ich sollte einmal nach Riva gehen und mit Garion darüber reden. Ich entwickle eine Theorie und hätte gern seine Meinung dazu gehört. Diese seltsame Stimme verbrachte viel mehr Zeit mit ihm als mit mir; deshalb ist er damit auch weitaus vertrauter als ich. Manchmal jedoch glaube ich, daß man mich beeinflußt. Ich gehe meiner Wege, ohne wirklich wach zu sein, und dann geschieht etwas – es muß nicht immer etwas Besonderes sein. Tatsächlich ist es meist etwas durchaus Gewöhnliches. Aber wenn es dann geschieht, klickt es in meinem Kopf, und ich handle, ehe es mir bewußt wird. Ich vermute, daß mir auf der Reise nach Cthol Mishrak, die ich mit Cherek und seinen Söhnen unternommen hatte, gewisse Dinge in den Kopf gesetzt wurden. Ich bin mir dieser Dinge die meiste Zeit nicht bewußt, doch wenn ein scheinbar bedeutungsloses Ereignis eintritt, weiß ich sofort, was zu tun ist.
Schon gut. Ich schweife ab. Na und?
Es dauerte nicht lange, bis ich Pols Blockhaus erreichte. Der Frühling war ins Land gezogen, und es war schon recht warm. Meine Tochter arbeitete in ihrem Küchengarten. Pol hat sehr helle Haut die in der Sonne leicht verbrennt. Deshalb trug sie einen merkwürdig aussehenden Strohhut den sie sich selbst geflochten hatte, um sich das Gesicht zu beschatten. Ich sollte es vielleicht nicht erwähnen, aber sie sah damit ein bißchen wie ein Pilz aus.
Ich flog auf den Garten zu, streckte meine Klauen aus und wandelte meine Gestalt, noch ehe ich den Boden berührt hatte. »Ich brauche dich, Pol«, sagte ich ohne Umschweife.
»Auch ich habe dich einst gebraucht erinnerst du dich?« war ihre kühle Antwort. »Du hattest damals kein Interesse, mir zu helfen. Jetzt habe ich wohl die Gelegenheit Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Geh weg, Vater.«
»Wir haben jetzt keine Zeit dafür, Polgara. Du kannst deine klugen Bemerkungen später machen. Jetzt müssen wir sofort zur Insel der Winde reisen. Gorek ist in Gefahr.«
»Viele Leute sind in Gefahr, Vater. Das ist nicht ungewöhnlich.« Dann meinte sie nachdenklich: »Wer ist Gorek?«
»Hast du dich während der letzten Jahrhunderte um gar nichts gekümmert? Weißt du denn nicht, was in der Welt
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