Bell ist der Nächste
Und wenn sie es gewusst hätten, hätten sie es nicht gebilligt. Und was mich anbelangt –«
»Sie wollten den Bann einfach nicht brechen. Hier steht John Casterbridge vor Ihnen und ist willens, mit Ihnen zu reden – ein Mann, der Reportern gegenüber sonst immer verschlossen war. Sie hatten Angst, dass er seine Entscheidung revidieren könnte.«
»Das stimmt.« Sie sah hinaus auf den See. In einiger Entfernung leuchtete das weiße Segel eines Katamarans.
»Sie wussten von seinem Zustand, oder?«, sagte ich. »Ein Zustand, in dem es eigentlich keine wichtigen Entscheidungen mehr zu treffen gilt – etwa, ob mit einer Reporterin über das Versagen des Geheimdienstes gesprochen werden sollte.«
»Ich wusste zu dem Zeitpunkt noch nichts davon. Ehrlich, er wirkte völlig normal auf mich. An den Abenden wurde er müde und verlor sich in Nebensächlichkeiten, aber sonst …«
Ich hakte weiter nach. »Wo waren Sie denn diese drei Tage – von Mittwoch bis Samstag?«
»Zunächst sind wir hierhergefahren, aber dann hat der Senator seine Meinung geändert. Er hatte Bedenken, dass man hier vielleicht nach ihm suchen würde – sein Sohn oder Beckett. Er wollte nicht, dass sich irgendjemand einmischte. Also haben wir uns ein Hotel gesucht. Er hat bar bezahlt und einen falschen Namen benutzt.«
»Und niemand hat ihn erkannt?«
»Er hat sich Khakihosen und ein Polohemd angezogen und sein Haar zurückgekämmt. Er sah aus wie sein eigener Großvater. Ich glaube, er hat das Ganze richtig genossen. Die anderen mal übers Ohr zu hauen.«
Das konnte ich mir gut vorstellen. Es hätte ihm gefallen, Alan Beckett eine lange Nase zu machen. Aber Beckett hatte sich selbst gut gehalten. Während ich nach Lucy suchte, muss er fieberhaft nach John Casterbridge gesucht haben. Er muss den Verdacht gehegt haben, dass Casterbridge und Lucy zusammen verschwunden waren, aber wenn ich mit ihm sprach, ließ er das nicht durchklingen. Wie hätte er das auch tun können? Er konnte ja nicht zugeben, dass er einen US-Senator aus den Augen verloren hatte.
»Was haben Sie denn diese drei Tage lang gemacht?«, fragte ich Lucy.
»Ich habe ein Aufnahmegerät aufgebaut und ihm zugehört. Wir sind im Zimmer geblieben, außer wenn einer von uns beiden etwas geholt hat. Wenn er müde wurde, haben wir eine Pause gemacht, und er hat sich hingelegt. Ich habe ein bisschen geschlafen und dann bin ich meine Notizen durchgegangen und habe mir überlegt, welche Fragen ich ihm noch stellen musste.«
Sie setzte sich wieder zu mir an den Tisch. »Wir haben in den Nachrichten gesehen, dass ich als vermisst galt. Aber Casterbridge hatte immer noch so viel zu erzählen. Also wollte ich nicht aufhören. Am Samstag kochten die Dinge weiter hoch: Die Nachrichten waren voll davon, dass Lark erschossen worden war, und in dem Zusammenhang wurde auch über mich berichtet. Wir beschlossen, dass wir unser Glück lang genug strapaziert hatten. Es war Zeit, wieder zurückzukehren.«
»Und was ist mit Ihrer vorgeschobenen Geschichte – der Architekt aus Chicago?«
»Das ist ein Freund, der zufällig einen blauen Kleinbus besitzt. Ich habe ihn angerufen, und er hat mir geholfen.«
Sie griff nach der Kugel und rollte sie mit ihren Fingerspitzen über den Tisch.
»An dem Abend bei mir im Büro«, sagte ich, »da hätten Sie mir die Wahrheit sagen können.«
»Das wollte ich auch, Loogan. Aber Sie hätten vielleicht beschlossen, dass Sie alles der Polizei erzählen müssen. Sie mit Ihrer Moral. Ich konnte nicht durchsickern lassen, dass der Senator drei Tage mit mir verbracht hatte, während alle anderen glaubten, ich sei entführt worden. Wie würde das aussehen? Und er wollte nicht, dass unser Arrangement bekannt wurde. Noch nicht.«
»Wie sieht Ihr Arrangement denn genau aus?«, fragte ich. »Er gibt Ihnen Material für Ihr Buch, und im Gegenzug lassen Sie den Raubüberfall auf die Great Lakes Bank auf sich beruhen – so in die Richtung?«
»So in die Richtung.«
»Und das stört Sie gar nicht? Als Journalistin?«
Auf ihrem Gesicht zeigte sich wieder etwas Schalkhaftes. »Sie wissen ja gar nicht, was er mir da alles erzählt hat. In ein paar Jahren wird niemand mehr an den Raubüberfall denken. Aber das«, sagte sie und zeigte auf den Stapel Papier, »das ist Geschichte.«
Ich kippte mich mit dem Stuhl zurück. Eine Brise wehte über die Veranda.
»Haben Sie mal darüber nachgedacht, warum der Senator zugestimmt hat, Ihnen all das zu erzählen?«
Sie zuckte mit den
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