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Beobachter

Beobachter

Titel: Beobachter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Link
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so unverblümt und direkt war, die wirkliche Gillian ist? Und die andere, die aus deinem normalen Alltag, die Fremde?«
    Sie schwieg perplex. Am Ende hatte er recht. Vielleicht war doch noch mehr von dem scheuen, in Konventionen gefangenen Mädchen in ihr, als sie gehofft hatte. Vielleicht war sie ihre Erziehung, die ihr stets vor allem Einschränkung gebracht hatte, noch immer nicht losgeworden. Vielleicht würde ihr das nie ganz gelingen.
    »Ich will dich natürlich nicht manipulieren«, erklärte John.
    »Ich lasse mich auch nicht manipulieren«, erwiderte Gillian.
    Ich habe nur diesen Moment, dachte sie, wenn ich jetzt ausweiche, einen Kaffee mit ihm trinke und dann nach Hause fahre, dann wage ich es nie wieder. Dann wird es nie wieder eine Situation wie diese geben.
    »Ich will mit dir schlafen«, sagte sie.
    Er schlang beide Arme um sie. »Ein Glück«, flüsterte er, »alles andere hätte ich jetzt auch kaum ausgehalten.«
    Als es vorbei war, nach einer Ewigkeit, als sie beide vollkommen erschöpft waren und vielleicht sogar für einen Moment geschlafen hatten, öffnete John die Augen und sagte, dass er sie liebte.
    Gillian sah ihn an und erkannte, dass er es ernst meinte.
    Sie war wieder eingeschlafen und erst aufgewacht, als John aufstand und das Zimmer verließ. Sie beobachtete ihn, wie er mit zwei großen Tassen zurückkehrte. Sie tranken den Kaffee, blickten hinaus in den immer dichter fallenden Schnee. Gillian konnte den Dachgiebel des gegenüberliegenden Hauses erkennen. Im Fenster der Gaube hing ein Leuchtstern. Darüber türmte sich der Schnee zu einer pudrigen Haube.
    »Warum hast du eigentlich kein richtiges Bett?«, fragte sie.
    Er zuckte mit den Schultern. »Wenn du dich in meiner Wohnung umsiehst, wirst du feststellen, dass ich überhaupt kaum Möbel habe. Ich habe offenbar eine Blockade.«
    »Eine Blockade?«
    Er lachte. »Kannst du dir mich in einem Möbelhaus vorstellen? Wie ich eine Schrankwand, einen Couchtisch und eine Perserbrücke kaufe?«
    »Ich glaube, das hängt von den einzelnen Teilen ab.«
    »Was ich besitze, stammt von verschiedenen Flohmärkten und beschränkt sich auf das Notwendigste. Wenn es um mich herum bürgerlich wird, bekomme ich Beklemmungen.«
    »War das schon immer so?«
    Er erriet, was sie eigentlich fragen wollte. »Du meinst, ob es etwas mit meinem Beruf zu tun hat? Genau genommen damit, dass ich ihn aufgeben musste?«
    »Es war ein Bruch in deinem Leben.«
    »Aber keiner, der mich als Mensch verändert hat. Ich war immer so. Ziemlich unkonventionell. Wahrscheinlich hätte ich sonst diesen ganzen Mist nie angerichtet.«
    »Du wolltest mir davon erzählen«, sagte Gillian.
    Er spielte mit ihren Haaren, betrachtete sie gedankenverloren. »Ja«, sagte er schließlich, »ich glaube, ich kanndir davon erzählen.«
    Dann sprach er von seinem Fehler. Diesem Fehler, der sein Leben verändert hatte.
    »Aber was sie mir später anhängen wollten, die sexuelle Nötigung, das stimmte einfach nicht. Wir hatten eine Affäre. Sie wollte diese Affäre genauso wie ich. Ihre Signale waren eindeutig. Es war natürlich vollkommener Schwachsinn von mir, darauf einzusteigen.«
    »Wie lange ging die Affäre?«
    »Vier Monate etwa. Wir hatten eine gute Zeit. Sie war jung und sehr attraktiv, und ich fand es einfach schön mit ihr.«
    »Wie alt warst du?«
    »Ich war siebenunddreißig. Sie war einundzwanzig. Ich dachte … na ja, ich dachte, wir haben einfach Spaß zusammen, irgendwann trifft sie jemanden, der altersmäßig besser zu ihr passt, der sie heiratet … Ich habe einfach den Augenblick genossen.«
    »Wann kippte das alles?«
    Er lächelte bitter. »Als sie durch eine der Prüfungen fiel. Sie war eigentlich recht begabt, aber sie hatte wohl einen schlechten Tag. Sie versiebte eine besonders wichtige Arbeit. Aber im Grunde war das Ganze kein Drama. Sie musste dieses Fach wiederholen, später würde kein Hahn mehr danach krähen. Aber sie … drehte komplett durch. Wollte diese Niederlage nicht hinnehmen. Sie beschwor mich, ich müsste diese Sache aus dem Weg räumen. Mit dem Prüfer sprechen, ihn bewegen, sie durchkommen zu lassen, sein Urteil zu revidieren, was weiß ich.«
    Gillian schüttelte den Kopf. »Das konntest du nicht.«
    »Natürlich nicht. Selbst wenn ich gewollt hätte: So funktionieren die Dinge nicht. Ich habe ihr das auch erklärt. Aber sie war kaum ansprechbar.« Jetzt schüttelte er den Kopf, noch immer, wie es schien, frappiert über die Situation, in der er sich

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