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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Erschrecken? Fehlanzeige. Lediglich um seine Habsburgernase zuckte es, doch das konnte mit seiner Allergie zu tun haben. Wo um alles in der Welt hatte er dieses erstaunliche Maß an Selbstbeherrschung gelernt?
    »Sie!«, sagte er, und es klang ärgerlich und gelangweilt; wie wenn unsereins im Sommer zu müde ist, lästige Fliegen zu vertreiben.
    Nun, dann wollte ich meine Fliegenrolle konsequent zu Ende spielen.
    »Reden wir drinnen weiter?«, fragte ich und schob ich mich an ihm vorbei in die Villa. Vielleicht hatte er insgeheim mit so viel Dreistigkeit gerechnet. Trotzdem hätte er mir zuliebe ein wenig zetern können. Aber nicht einmal diese Genugtuung gönnte er mir, er schüttelte nur missbilligend den Kopf und seufzte. Sollte er seufzen! Die Hände auf dem Rücken verschränkt, spazierte ich durch das Foyer seines Hauses und sah mich um. Bünting blieb abwartend in der Tür stehen. Die Abendsonne warf seinen riesenhaften Schatten durch den ganzen Raum.
    »Was soll das, Koller?«, meinte er. »Was wollen Sie hier? Ihre Eitelkeit befriedigen?«
    Um ehrlich zu sein, Büntings Foyer enttäuschte mich. Es war bieder eingerichtet, überhaupt nicht geschmackvoll oder extravagant. Schwerer Steinfußboden, zwei schmale Läufer, eine Couch (wieso hier eine Couch?), Holztäfelung an den Wänden, ein paar Ölbilder à la Canaletto, zwei barocke Statuetten. Weiter hinten stand eine große Bronzestatue, die einen jungen Mann mit Pfeil und Bogen darstellte. Außer einem Lorbeerkranz hatte er nichts an. Höheres Spießertum, meiner Meinung nach.
    Ich kehrte zu Bünting zurück. Baute mich vor ihm auf und legte den Kopf ein wenig schief.
    »Hübsch haben Sie es hier. Hübsch hässlich. Mein Vater hatte mal einen Wohnwagen, in dem sah es genauso aus.«
    »Koller, hören Sie auf, dummes Zeug zu quatschen«, fauchte er. Zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, zeigte er Nerven. Er warf die Tür hinter sich zu und legte die Aktentasche auf einen kleinen Tisch, der als Ablage diente. Dann wandte er sich mir zu.
    »Was Sie hier tun, Koller, ist Hausfriedensbruch, und über kurz oder lang werde ich die Polizei rufen. Außerdem stehlen Sie mir meine Zeit. Sagen Sie mir, was Sie wollen und dann lassen Sie mich in Ruhe.«
    »Was ich will, Herr Bünting? Gar nichts will ich. Überhaupt nichts. Wollte Sie nur mal kennenlernen. Wie Sie wohnen. Was Sie so tun, wenn Sie nicht gerade auf Friedhöfen rumturnen.«
    »Sie sind ...«, begann er, brach aber ab, denn wir waren nicht mehr allein.
    Ich drehte mich um. Eine Tür hatte sich geöffnet, und die ansehnliche Dienstmagd war eingetreten. Augenscheinlich hatte sie nicht erwartet, zwei Personen anzutreffen.
    »Guten Abend«, grüßte sie, und es klang wie eine Frage. Ich schenkte ihr mein charmantestes Lächeln, das aber kein Echo fand.
    Bünting schickte sie mit einer Handbewegung fort. »Los, kommen Sie«, fuhr er mich an. »Wir gehen nach oben. Ich gebe Ihnen fünf Minuten, Koller, danach verschwinden Sie. Und zwar für immer.« Er wandte sich nach links, wo eine breite, gewundene Treppe in den ersten Stock führte.
    Ich folgte ihm und sah aus den Augenwinkeln, wie sich die Tür hinter dem Mädchen geräuschlos schloss.
    Oben betraten wir ein geräumiges Arbeitszimmer. Alles darin war schwer und dunkel: der Mahagoni-Schreibtisch, die Schränke, die Regale, die Ledersessel. Der Hausherr nahm hinter dem Schreibtisch Platz, ich setzte mich unaufgefordert in einen der Sessel. Man konnte über Bünting sagen, was man wollte, auf der faulen Rentnerhaut lag er jedenfalls nicht. Aktenordner ohne Ende, eine überquellende Briefablage, Schreibgerät in unterschiedlichster Ausfertigung, ein Stoß Zeitungen (die FAZ und das Handelsblatt , natürlich), eine Telefonstation sowie auf einem zusätzlichen Tisch Computer und Faxgerät. Was die Kandinsky-Reproduktion an der rechten Seitenwand zu suchen hatte, erschloss sich mir nicht. Das Bild passte in dieses Zimmer wie die gestrige Faust auf mein Auge.
    Ganz in der Nähe des Kandinskys zog eine kleine Familiengalerie meine Aufmerksamkeit auf sich: eine Handvoll gerahmter Fotos von Büntings Angehörigen.
    »Ihr Sohn?«, fragte ich und deutete auf das Bild eines jungen Mannes, das aus den 70ern stammte: Der Kerl hatte viel zu langes Haar, viel zu lange Koteletten, und das Grinsen, mit dem er vor einem Ford Capri posierte, war eindeutig zu dämlich. Bünting antwortete nicht.
    »Und der hier? Ein Enkel?« Ein Studiofoto neueren Datums, der Junge um die 16, mit

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