Bergwasser: Ein Schweiz-Krimi (German Edition)
gestellt?«, fragte Stettler. »Aber Sie kennen die Sicherheitsvorschriften in Tunnels schon. Sonst kann Ihnen Herr Bergamin gerne noch eine Kopie geben.« Remo Bergamin nickte.
»Er ist mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren«, sagte Julia.
»Und bitte schau, dass wieder Geschwindigkeitskontrollen gemacht werden. Und Alkoholtests.«
»Aber das ist nicht meine …«, erwiderte Bergamin.
»Nichts aber«, fiel ihm Stettler ins Wort. »Das ist nun schon der zweite Unfall innerhalb kürzester Zeit. So was kommt nicht mehr vor. Nicht in meinem Tunnel.« Er schlug auf den Tisch. Alle schwiegen.
»Und Sie melden sich beim Dorfarzt!«
»Das ist nicht nötig«, sagte Julia.
»Doch, das ist es. Ich bin für Sie verantwortlich.«
»Gut. Können wir jetzt zum eigentlichen Thema kommen?«
»Das können wir«, sagte Stettler.
»Ich konnte das Ventil flicken …«
Maria kam herein und brachte den Männern Kaffee, ohne Julia zu fragen, ob sie auch einen wollte.
»… und die Maschine läuft wieder«, fuhr Julia fort, als Maria wieder gegangen war.
»Das haben wir gesehen. Und?«, fragte Stettler.
»Ich habe keine Ahnung, wie lange das Ventil hält. Es muss so schnell wie möglich ein Ersatz her.«
»Den haben Sie hoffentlich bestellt.«
»Das habe ich Ihnen bereits …«
»Und wie lange dauert es, bis das Teil hier ist?«, unterbrach sie Morettini, der Bauleiter.
»Sie schicken es so schnell wie möglich.«
»Und was soll das heißen, bitte schön? Ist das ein Termin?«, fragte Stettler.
Julia schüttelte den Kopf. Sie bedauerte es sogleich.
»Na bravo«, meinte der dürre Lehner von der ARGE Cisalpin . »Ein Stillstand kostet uns täglich Zigtausende von Franken. – Oder euch.«
Julia stöhnte.
»Konnten Sie wenigstens herausfinden, was die Ursache war?«, fragte Stettler.
»Nein«, antwortete Julia.
»Was, nein.«
»Ein Materialfehler ist es nicht. Sehr wahrscheinlich durch Staub und Dreck verursacht.«
»Etwas anderes hätte ich auch nicht erwartet. Das müssen Sie ja sagen«, meinte Lehner.
»Auch eine Fehlmanipulation kann ausgeschlossen werden«, fuhr Julia fort.
»Das hoffe ich doch«, sagte Stettler.
»Ist das ein Fall für die Versicherung?«, fragte Bergamin.
»Bitte klär mal ab, wie die Rechtslage ist. Und ob wir die Tunneling Corp. belangen können.«
Julia tat, als hörte sie die letzte Bemerkung nicht. »Dann war’s das für heute?« Sie erhob sich, ohne eine Antwort abzuwarten. Der Hammer schlug an beiden Schläfen gleichzeitig zu.
Sie strauchelte durch die Kantine und ging nach draußen. Das grelle Licht schmerzte bis hinter die Augen, ihr wurde übel. Wasser sammelte sich in ihrem Mund, die Arme kribbelten, dann schien sich der Magen zu heben. Sie schaffte es gerade noch bis zum Findling, stützte sich darauf ab und erbrach sich. Als sie den Kopf hob, sah sie Maria, die sie anglotzte. Sie wollte sich entschuldigen, doch da kam schon der nächste Schwall.
Julia ging in ihr Zimmer, schloss die Jalousie, zog die Vorhänge zu, ließ sich aufs Bett fallen. Gerne hätte sie mit Jan gesprochen. Doch sie schaffte es nicht, nochmals aufzustehen und ihr Handy zu holen. Sie schlief sofort ein.
Sie sind kurz vor dem Durchstoß. Auf der Tunnelbrust prangt das Logo der Transalpin . Ein Orchester spielt, Politiker haben angespannte Mienen. Ein Mann mit Mikro rennt herum. Alle starren sie auf die Wand und warten auf Marta , dass sie sie von hinten durchstößt, ihre zweiundsechzig Zähne zeigt. Julia ist auf der anderen Seite. Mit Antonio im Führerstand. Die Maschine läuft auf Hochtouren. Doch sie kommen nicht vom Fleck. Die Förderbänder sind leer. Marta bewegt sich keinen Zentimeter vorwärts, sie gräbt auf der Stelle. Jetzt hört Julia Rufe von der anderen Seite. Buhrufe. Das Publikum läuft zur Tunnelbrust und poltert an die Felswand. Tock, tock, tock.
Es klopfte an der Zimmertür. Julia setzte sich im Bett auf. »Ja?«, rief sie heiser.
Es klopfte nochmals. Sie rief lauter: »Ja, bitte?«
Ein Mann in einem kurzärmligen Hemd stand in der Tür. In der Hand trug er eine Tasche. »Mein Name ist Conrad, ich bin der Dorfarzt. Darf ich eintreten?«
Julia nickte. Sie hatte einen bitteren Geschmack im Mund. Auch im Zimmer roch es säuerlich. Vor dem Bett stand ein Kübel mit Erbrochenem. Beschämt fuhr sie sich mit dem Ärmel über den Mund. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, wie der Eimer dorthin gekommen war.
Der Arzt setzte sich auf den Stuhl und stellte seine Tasche neben
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