Bergwasser: Ein Schweiz-Krimi (German Edition)
oder gehört zu haben.
»Wie geht es jetzt weiter?«, fragte Franco und rührte in der Kaffeetasse, obwohl der Zucker schon längst aufgelöst war. Er hatte schlecht geschlafen. Madlaina war die ganze Nacht unruhig gewesen, war immer wieder aufgestanden, zur Toilette gegangen. Als sie endlich einschlief, hatte sie zu wimmern begonnen. Er traute sich nicht, sie zu wecken. Jetzt, wo sie endlich schlafen konnte.
Er hatte immer wieder an die Blutlache denken müssen. Wie er damals erwachte, weil es feucht war im Bett. Wie er dachte, Madlaina habe wieder geschwitzt. Wie er im Dunkeln die Flecken gesehen und das Licht angezündet hatte.
»Keine Ahnung«, sagte Tresa.
»Wie?«
»Keine Ahnung, was wir jetzt machen«, wiederholte Tresa, ohne von ihrer Akte aufzublicken. »Wir sind zu wenige. Das macht so keinen Sinn.«
»Wir müssten jeden einzelnen Arbeiter befragen.«
»Ich schätze, das sind etwa zweihundert.« Tresa schaute von ihrer Akte auf. »Dazu brauchen wir Wochen, wenn nicht Monate.«
»Und auch die Leute vom Dorf.«
»Vielleicht bringt der Zeugenaufruf heute in der Zeitung etwas.«
»Vielleicht.« Er starrte in seine Kaffeetasse.
»Was kann ich denn dafür?«, fragte Tresa. »Jemand muss hier die Stellung halten. Wir können nicht beide den ganzen Tag auf der Baustelle herumrennen.«
»Klar kannst du nichts dafür«, sagte Franco, obwohl er fand, dass Tresa es mit ihrer Tunnelangst übertrieb. Doch das getraute er sich nicht zu sagen. »Kennst du Maria Coretti?«, fragte er stattdessen.
»Wen?«
»Sie arbeitet in der Kantine. Sie ist die Verlobte von Antonio Albertini.«
»Was ist mit der?«
»Die hat mir die Ohren vollgeschwatzt. Meinte, dass das keine normalen Unfälle seien.«
»Was meint sie damit?«
»Dass es nicht mit rechten Dingen zuginge in diesem Tunnel.«
»Wie jetzt?«
»Sie hat da was von bösen Kräften im Berg gesagt.«
»Oje!«
»Das hab ich auch gesagt. Scheint mir ziemlich abergläubisch, die gute Frau.«
»Apropos Aberglaube«, sagte Tresa. »Die heilige Barbara wurde entwendet.«
»Ach ja? Davon hat mir niemand etwas gesagt.«
»Sie haben sie auch rasch wieder ersetzt. Ich weiß es vom Pfarrer, der musste die Neue segnen. Es ist alles ziemlich schnell gegangen.«
»Das glaube ich. Sonst bringst du keinen Arbeiter in den Tunnel rein. Weiß man, wer’s war?«
»Irgendein Spaßvogel«, meinte Tresa.
»Das kann ich mir nicht vorstellen. Mit der heiligen Barbara wird nicht gespaßt.«
Franco hatte die Türglocke beinahe überhört. Tresa machte gerade einen Kaffee, das Mahlwerk der Kaffeemaschine hatte alles übertönt. Er ging nach vorn. Vor dem Schalter stand eine junge Frau. Sie war sehr hübsch und hatte lange helle Haare.
»Ich, ich möckte …« Sie sprach gebrochen deutsch. Franco versuchte, sie zu verstehen, herauszufinden, was die Frau von ihm wollte. Vergeblich. Sie wurde immer nervöser, fingerte an ihrer Tasche herum. Er führte sie in das kleine Zimmer, das als Verhörraum diente, bat sie, sich zu setzen, und rief Tresa dazu.
»Wie heißen Sie?«, fragte Tresa mit ihrer ruhigen tiefen Stimme.
Anstatt zu antworten, kramte die Frau eine Zeitungsseite aus ihrer Handtasche. »Bitte nicht sagen Chef ich hier.«
»Wer ist denn Ihr Chef?«
»Herr Zehnder.«
»Vom Aurora ?«
Die Frau schaute auf die Tischplatte und nickte.
»Ich Elena schuldig.«
»Elena?«
»Sie verschwunden.« Die Frau war etwas ruhiger geworden. Franco staunte einmal mehr über die Wirkung, die seine Kollegin auf die Leute hatte.
»Sie hat mit Ihnen zusammengearbeitet? Im Aurora ?«
Die Frau nickte.
»Wann haben Sie sie das letzte Mal gesehen?«
»Dienstag. Woche vorher. Mittag.«
»Vorletzten Dienstag? Und wieso sind Sie nicht schon früher gekommen?«
»Ich illegal hier.« Sie fuhr mit der Hand über die Tischplatte.
Franco pfiff durch die Zähne. »Dieser geschniegelte Zehnder.«
»Er genommen Pass.«
»Und wieso sind Sie in die Schweiz gekommen?«
»Ich gedacht Arbeit in Küche. Nicht so was.« Sie blickte auf ihre Hände. Die Fingernägel waren mit feinen Blumenmustern verziert. Durch einen war ein kleiner Ring gezogen. Franco stellte sich solche Nägel bei Madlaina vor. Aber wie würde sie damit den Garten machen?
»Und Sie haben die Frau erkannt?« Tresa zeigte auf das Bild in der Zeitung.
Die Frau starrte es lange an.
»Ja, das Elena.« Tränen liefen ihr der Nase entlang und tropften auf die Tischplatte.
Franco hielt ihr ein Taschentuch hin. Sie schnäuzte
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