Berlin Gothic 3: Xavers Ende
GETÖTET.‘
„Ich hätte nie gedacht, dass du soweit gehen würdest.“
‚WAS HAB ICH GETAN.‘
„Ich wollte das nicht.“
‚JETZT IST ES ZU SPÄT.‘
Till rutschte von der Mauer herunter. Er fühlte sich fast wie betäubt. Es war niemand anders als Bentheim selbst - Max‘ Papa - den er in dem stinkenden Loch dort hinten eingesperrt hatte.
Max saß noch immer auf der Mauer. „Der Termin am Ende der Ferien? Dass er mir gesagt hatte, ich müsste entscheiden, was aus meinem Leben werden soll? Ich wusste nicht, was ich ihm antworten sollte! Aber er kam ja immer wieder darauf zurück. Und weißt du, was passiert wäre?“
Till fühlte, wie seine Knie zitterten.
„Egal, was ich ihm gesagt hätte, er hätte mich auf eine besondere Schule dafür geschickt. Aber ich wollte auf keine andere Schule, Till. Erst recht nicht jetzt, wo du in meine Klasse kommst. Er hätte uns getrennt, Till, das wollte ich nicht. Ich wollte mit dir zusammen in meine Schule gehen, deshalb hab ich das gesagt - dass es die Abteilung im Krankenhaus gibt, dass sie die Menschen dort aufschneiden, dass es ist wie ein Alptraum, der nach einem greift. Ich wollte nicht, dass wir getrennt werden.“
BERLIN GOTHIC 3
Vierter Teil
1
Die letzten zwei Wochen der Sommerferien vergingen für Lisa wie im Flug. Montag würde sie in ihre Schule zurückkehren, aber daran dachte sie nicht. In den letzten vierzehn Tagen hatte sich ihre Welt verändert, war verrutscht, weggerutscht, abgerutscht. Ihr Vater war nicht wieder aufgetaucht, seit vierzehn Tagen fehlte jede Spur von ihm. Es war ein Tag gewesen wie jeder andere, Till war erst ein paar Wochen bei ihnen gewesen, ihr Vater hatte sich von ihnen verabschiedet - seitdem hatte sie ihn nie mehr gesehen.
Nachmittage lang hatte Lisa auf ihrem Bett gelegen, auf dem Bauch, das Gesicht zur Seite gedreht und zur Tür geschaut. Sie hatte gewartet, dass sie weinen würde, aber es war nichts passiert. Sie hatte ihre Mutter weinen gehört, sie hatte Max und Till reden gehört, sie hatte Rebecca und Jenna arbeiten gehört. Nur ihren Vater, seine schweren Tritte auf der Treppe, seine sonore Stimme, sein Lachen, das hatte sie nicht mehr gehört. Er war nicht mehr wie früher in ihre Tür getreten, er hatte sich nicht mehr zu ihr heruntergebeugt, er hatte sie nicht mehr auf den Arm genommen. Es gab niemanden mehr, der mit Max schimpfte, niemanden, über den sich ihre Mutter freute, es war eine Lücke inmitten ihrer Familie entstanden, die nie wieder, das wusste Lisa ganz genau, gefüllt werden würde. Ihre Welt war zusammengebrochen.
Rein äußerlich war alles beim Alten geblieben. Sie wohnten weiterhin in dem Haus, in der Auffahrt standen die Autos, Rebecca und Jenna kamen und gingen. Lisas Mutter hatte sich schon verändert, aber das sah man nur, wenn man genau hinschaute. Sie schien ein wenig älter geworden zu sein, dünner, fast wie ein Schmetterling, dem ein wenig Pulver von den Flügeln gestäubt ist. Der Glanz ihrer Haare schien eine Spur matter geworden zu sein, die Augen wirkten, als habe jemand die 100-Watt-Pupillen gegen 60-Watt-Exemplare ausgetauscht.
Sonst war alles beim Alten geblieben. Lisa würde am Montag zur Schule gehen, ihre Mutter hatte ihr eingeschärft, was sie erwidern sollte, wenn sie gefragt würde: ‚Mama hat gesagt, ich soll nicht drüber sprechen.‘ Denn keiner wusste es. War ihr Vater tot? War er fortgelaufen?
Vor ein paar Tagen hatte Lisa durch eine Tür mitgehört, wie ihre Mutter am Telefon sagte, dass ‚Xaver‘ in den letzten Wochen vor seinem Verschwinden ein wenig merkwürdig gewirkt hätte. Vielleicht ein wenig nervöser, das stimmte, aber sonst? Sonst hatte Lisa eigentlich nichts bemerkt.
Beamte der Kriminalpolizei waren da gewesen, hatten das Gartenhaus abgesucht und eine Luke im Boden des Kellers entdeckt, die direkt in die Kanalisation führte. Ihre Mutter hatte davon nichts gewusst, aber die Beamten hatten versichert, dass das in Berlin nichts Außergewöhnliches wäre.
In den ersten Tagen war es die Hölle gewesen. Lisas Mutter hatte nicht mehr geschlafen, das ganze Haus schien unter Strom gestanden zu haben. Inzwischen hatte sich die Anspannung, die am Anfang gewirkt hatte, als könnte sie jeden Augenblick explodieren, in ein grimmiges, zähes Verharren gewandelt, von dem Lisa wusste, dass es sie alle krank machen würde - von dem sie aber auch wusste, dass sie es nicht einfach so abschalten konnten.
Eine Zeit lang hatte sie leise vor sich hin
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