Berlin Wolfsburg (German Edition)
sie
jedoch, dass sie höchst selten nachlässig ermittelte, schon gar nicht in zwei
kurz aufeinanderfolgenden Fällen.
Katryna hatte die Berichte der BKA -Ermittlerin,
die Udo Samthof ihr ausgehändigt hatte, bereits zweimal gelesen, und als sie
nun in Tempelhof vor dem Häuschen der Rauths parkte, blätterte sie den Ordner
ein drittes Mal durch. Wenn es um bestechliche Beamte ging, waren Ermittlungen
besonders schwierig. Handelte es sich um tote bestechliche Beamte, stieß man
oft genug auf eine Wand des Schweigens und, wenn man Pech hatte, der feindseligen
Abwehr.
Wenn Katryna Samthofs Anmerkungen richtig verstanden hatte,
beabsichtigte er, eine ganze Reihe von Fällen durchleuchten zu lassen und dabei
den Staatsschutz einzubeziehen. Katryna hatte einige Augenblicke gebraucht, um
zu verdauen, dass Rauth und Lange im Verdacht standen, Angriffe auf muslimische
Mitbürger kaschiert beziehungsweise die Ermittlungen behindert zu haben.
Abgesehen von Jörg Rauths Suizid mutmaßte Johanna Krass, dass die
Selbsttötungen vorgetäuscht und die Beamten ermordet worden waren, und sie
würde gern erfahren, welche Rolle Rauth gespielt hatte. Katryna auch.
Sie hatte vor ihrem Aufbruch einen Ex-Kollegen in Duisburg gebeten,
Einzelheiten zu Volker Dorns Werdegang zu recherchieren, und falls dabei der
Name Stefan Muth genannt wurde oder Holger Bihl und eine besonders innige
Beziehung zu Polizeibeamten auffiel, möge er bitte nachforschen. Das BKA hatte selbstredend beeindruckend viele
Möglichkeiten, an Informationen zu gelangen, aber nicht immer fanden sich die
entscheidenden Hinweise ausschließlich in Datenbanken.
Katryna stieg aus und strich ihren Blazer glatt. Der prüfende Blick
in den Spiegel war ebenso typisch für sie wie ihre Begeisterung für Currywurst
und den Ruhrpott, den sie manchmal schmerzlich vermisste. Aber Berlin hatte ihr
nicht nur einen Karrieresprung verschafft, für den sie in Duisburg einige Jahre
länger gebraucht hätte, in der Hauptstadt war auch Hauptkommissar Piet Reinhard
zu Hause …
Die Haustür öffnete sich, als Katryna die Hand zur Klingel
ausstreckte. Marie Rauth, eine große, schlaksige Frau in Jeans und T-Shirt, die
in den letzten Monaten deutlich an Gewicht verloren hatte, bat sie mit leiser
Stimme herein. Ihr dunkelbraunes Haar war von grauen Strähnen durchzogen, um
Mund und Augen hatten sich tiefe Sorgenfalten eingegraben. Die Frau war
vierzig, ging aber gut und gerne für fünfzig durch. Als die Kommissarin zwei
Stunden zuvor angerufen und um eine Unterredung gebeten hatte, war die Witwe
sehr zurückhaltend gewesen. Um genau zu sein, hatte sie auf kaum etwas weniger
Lust als auf ein Gespräch mit einer Polizeibeamtin – verständlicherweise.
Katryna hatte sie trotzdem überreden können, sich eine halbe Stunde Zeit zu
nehmen.
Marie Rauth ging durch ein Wohnzimmer voran und wies auf die
geöffnete Terrassentür. »Ist Ihnen das recht?«
»Natürlich – wenn sich in diesem Sommer schon mal ein paar
Sonnenstrahlen zeigen, sollten wir sie unbedingt nutzen.«
Sie nahmen an einem runden Holztisch Platz, und Katryna genoss einen
Moment den Blick auf den kleinen Garten, in dem dichtes Baum- und Buschwerk und
blühende Pflanzen in Steintöpfen eine geschützte Atmosphäre erzeugten. Marie
Rauth bot ihr einen Kaffee an und blickte auf.
»Sie sagten, es hätten sich noch dringend zu klärende Fragen
ergeben. Was genau meinen Sie damit? Jörg ist seit drei Monaten tot, und wir
haben doch schon ausführlich miteinander gesprochen.«
Katryna überlegte nicht lange, wie sie der Frau schonend beibringen
konnte, dass ihr Mann sehr wahrscheinlich in mehrfacher Hinsicht ein
Doppelleben geführt hatte – die Ehe der Rauths war alles andere als glücklich
gewesen, und eine weitere Überraschung würde ihr nicht mehr den Boden unter den
Füßen wegziehen. Wenn sie nicht alles täuschte, war das längst passiert.
»Frau Rauth, wir haben Anlass zu der Vermutung, dass Ihr Mann in
illegale Geschäfte verwickelt war«, sagte Katryna leise.
Die Witwe starrte sie sekundenlang an, dann schweifte ihr Blick ab,
huschte durch den Garten, um sich schließlich wieder Katryna zuzuwenden. »Wie
kommen Sie darauf?« Das klang bemerkenswert ruhig. »Er hatte Wettschulden. Das
ist nicht neu.«
»Ich weiß, davon spreche ich auch nicht. Wir gehen davon aus, dass
sein Tod im Zusammenhang mit anderen Todesfällen steht, Suiziden, die in
letzter Zeit von Polizisten begangen wurden«, erläuterte Katryna. Die
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