Bernie und Chet
dunklen Himmel abhoben. Mein Herz klopfte schneller. Beruhige dich, Chet, du musst ruhig bleiben. Ich verkroch mich hinter der Seilrolle.
Weit über mir verblassten die Sterne und verschwanden. Wir fuhren eine Menge Kurven, der Motor klang, als müsste er ziemlich schwer arbeiten. Ich stand auf und sah, dass wir in den Bergen waren, die noch immer dunkel dalagen, außer den Spitzen, die in ein milchiges Weiß getaucht waren. Das milchige Weiß breitete sich aus, ergoss sich langsam über das Land, ein wunderschöner Anblick. Es war ganz früh am Morgen. Wir fuhren um eine Biegung, kamen an ein paar völlig verrosteten Maschinen vorbei, die ich nicht kannte, und dort vor uns standen ein paar heruntergekommene Gebäude – ein langgestrecktes, niedriges Haus, eine Scheune, ein paar Schuppen und gegenüber davon ein steiler Hang mit einem runden Loch an seinem Fuß: Mr Gulagows Mine.
Boris stellte sich neben ein Auto, das ich kannte, der blaue BMW , ganz und gar eingestaubt jetzt, und ging in die Scheune. Ich sah mich um, entdeckte niemanden und sprang von der Ladefläche. Ich schnüffelte an dem BMW , am Tor der Scheune und an der Seite, nahm meine eigene Witterung auf. Sie führte mich zu einem der Schuppen, und dahinter entdeckte ich den Käfig, in dem Mr Gulagow mich gefangen gehalten hatte. Bleib ruhig, Junge. Aber ich konnte ein Knurren nicht unterdrücken.
Hinter der Scheune stand das Haus. Ich lief zu einem offenen Fenster, blickte in eine Küche. Mr Gulagow saß seitlich vom Fenster an einem Tisch und stapelte gebündelte Geldscheine übereinander. Ms Larapowa erschien, eine Kaffeekanne in der Hand. Sie waren so nah! Ich hätte mit einem Satz drinnen sein und Mr Gulagow zeigen können, was Sache war. Aber wäre das der richtige Schachzug gewesen? Ich wartete, und während ich wartete, sagte Mr Gulagow: »I st Boris schon zurück?«
»I ch sehe nach«, sagte Ms Larapowa. Sie goss ihm Kaffee ein und verließ die Küche.
Owei. Ich zog mich schnell vom Fenster zurück. Der beste Schachzug wäre vielleicht …
Rechts von mir ging eine Tür auf – wie hatte ich die nur übersehen können? – und Ms Larapowa trat aus dem Haus. Nur eine kleine Drehung mit dem Kopf, und sie hätte mich gesehen, und was dann? Aber Ms Larapowa drehte ihren Kopf nicht. Stattdessen ging sie in die andere Richtung, auf die Scheune zu, ihre Haare zu einem langen Pferdeschwanz zusammengebunden, der hin und her schwang. In der Nähe war ein Radio zu hören und dann das Räuspern eines Mannes. Jeden Augenblick würden hier überall Leute sein. Ich zog mich zurück, zog mich noch ein bisschen mehr zurück, wartete darauf, dass mir irgendeine Idee kam, und auf einmal, neben einer niedrigen stachligen Pflanze, die ganz allein zwischen dem Haus und der Mine wuchs, nahm ich einen Hauch von Bernies Geruch wahr.
Ich rannte los, erst in die eine Richtung, dann in die andere, schnüffelte hier und schnüffelte dort. Eine weitere Spur bei einer zerbrochenen Schaufel; und eine in der Nähe einer umgefallenen Lore; und noch eine bei den Gleisen, die in die Mine führten. Bernies Geruch wurde stärker, immer stärker. Ich folgte ihm durch das große runde Loch in die Dunkelheit.
Und da, mit dem Rücken an einen Stützbalken gelehnt, nicht sehr weit vom Eingang entfernt, saß Bernie! Seine Augen waren geschlossen. Schlief er? Ich war so froh, ihn zu sehen, dass ich zuerst überhaupt nicht bemerkte, dass seine Füße zusammengebunden waren; dass seine Hände hinter dem Balken gefesselt waren, dass ein an der Decke der Mine befestigtes Würgehalsband um seinen Hals lag.
Kapitel 31
Ich lief auf Bernie zu. Schlief er oder war es etwas anderes, etwas viel Schlimmeres? Normalerweise roch ich das viel Schlimmere, aber jetzt roch ich nichts. Seine Brust hob und senkte sich, füllte sich mit Luft und ließ sie wieder raus, genau wie meine. Ich hörte ein leises Wimmern und stellte fest, dass es von mir kam. Bernies Augen öffneten sich. Einen Moment lang lag in ihnen ein Ausdruck, den ich noch nie in Bernies Augen gesehen hatte und auch nie mehr sehen wollte, ein Ausdruck der – ich will es nicht einmal sagen – Niederlage. Aber dann sah er mich, und seine Augen veränderten sich. Diesen Blick werde ich nicht so bald vergessen, auch wenn es eigentlich nur Bernie war, der wieder er selbst wurde. »S chön, dich zu sehen, alter Junge«, sagte er mit leiser, müder Stimme. »D ie haben mich kalt erwischt.« Sein Kopf war auf gleicher Höhe wie meiner oder
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