Beruehrt
Proben passiert«, ergänzte Rachel und hätte sich gleich darauf am liebsten in den Hintern gebissen.
»Was probt ihr denn?«, hakte Melissa natürlich sofort nach.
»Den Aufstand«, gab Rachel schnippisch zurück. »Nichts weiter.«
Caleb lachte und legte Rachel den Arm um die Schulter. Sie ließ es zu, obwohl sie sich nicht ganz wohl in ihrer Haut fühlte.
»Wir haben ein bisschen Musik gemacht, das hat nichts mit der Band zu tun.«
»Aha«, machte Melissa.
»Soso«, machte Helen.
»Und darf man mal was hören?«, fragte Josh.
Rachel wollte protestieren, aber Caleb sagte natürlich prompt Ja. Ganz zufällig hatte er sogar seine Gitarre im Schatten an die Hauswand gelehnt, also warum nicht gleich? Rachel hätte schwören können, dass das Instrument eben, als sie kam, noch nicht da gewesen war.
Alle Augen waren auf sie gerichtet. Es sah nicht danach aus, als ob sie aus dieser Nummer so einfach herauskommen würde.
»Muss das sein?«, flüsterte sie Caleb zu.
»Nimm es als Generalprobe«, erwiderte er leise und zwinkerte ihr zu.
»Generalprobe? Wofür?« Helen hatte Luchsohren, das musste man ihr lassen.
»Kleiner Gig bei Jam FM«, erklärte Caleb so beiläufig wie möglich und zwinkerte Rachel zu.
»Ihr seid im Radio? Das ist ja der absolute Hammer! Und das behaltet ihr einfach für euch? Das muss ich hören!!! Wann? Los, sagt schon! Ist nicht wahr, oder?!«
Caleb gab ihr bereitwillig die gewünschten Infos und sonnte sich in den bewundernden Blicken der anderen.
»Und deine Hand?«, fragte Rachel. Himmel, es musste doch eine Hintertür geben, aber die Freunde klatschten bereits rhythmisch und riefen: »Sin-gen, sin-gen, sin-gen!«
»Kein Problem«, antwortete Caleb lachend und meinte vermutlich beides.
Rachel ergab sich in ihr Schicksal, setzte sich neben Caleb auf die Terrassenbrüstung und traf sogar direkt ihren Einsatz, als er das Lied von dem Ballonmädchen anspielte. Es klappte erstaunlich gut. Nach der zweiten Strophe wurde Rachels Stimme kräftiger und ihre Nervosität legte sich. Immerhin waren das ihre Freunde und keine Krokodile.
Sie mussten natürlich auch den zweiten Song spielen, und als Helen und Kathy im Chor »Zugabe!« brüllten, landeten sie bei den Beatles, Coldplay und den Rolling Stones. Es klang gar nicht so schlecht, als nach und nach alle einstimmten und mitsangen. Wer den Text nicht mehr weiterwusste, improvisierte mit Lalala oder Badadam.
Mit einem Mal hörte Rachel auf zu singen. Sie lauschte, allerdings keinem Ton, sondern einer anderen Wahrnehmung. Plötzlich war da dieses eindringliche Gefühl, beobachtet zu werden. Nicht von der Gruppe, nicht von Caleb, sondern von weiter weg, weiter oben. Es war, als ob jemand sie mit einem unsichtbaren Lasermarker fixierte, bannte und sie aus dem Takt brachte. Rachel versuchte, die Quelle herauszufinden. Sie scannte das Haus ab. Es war nur eine schnelle Bewegung, ein Schatten am Fenster, über ihrer Wohnung. Doch er genügte und Rachel versteinerte. Ihr Herz aber hüpfte.
Caleb spielte eine Extraschleife und gab ihr erneut den Einsatz. Doch Rachel schüttelte den Kopf. Sie war die Einzige, die ihn gesehen hatte – oder zumindest die Erste. Denn schon folgte Kathy ihrem Blick, dann Helen und die anderen. Caleb hörte auf zu spielen.
Bruce winkte und johlte ausgelassen. »Hey, Wolf, komm runter und spiel mit uns!«
Das würde er doch nicht tun, oder? Rachel schluckte trocken, als Grayson wortlos die Vorhänge zuzog.
Er war wieder da.
Und jetzt?
»Ach kommt schon, spielt weiter, es war gerade so schön«, bat Melissa und riss Rachel aus ihrer Betäubung.
Caleb fing sich als Erster. »Na gut, wo waren wir?«
»Nein, nicht euren blöden Oldiekram, spielt was Aktuelles!«, bat Melissa und klopfte mit dem Salatbesteck einen Grove vor. Caleb gab lachend nach. »Ich bin raus«, sagte Rachel. Mit zittrigen Knien stand sie auf und holte sich ein Glas Wasser. Als die Haustür knarrte, brauchte sie sich nicht umzudrehen. Ihre aufgestellten Nackenhärchen gaben ihr die gewünschte Auskunft.
»Hey, Mann, einsamer Wolf! Alles cool, Alter? Bock, ’n bisschen mit uns abzuhängen?«
Melissa kicherte, als Bruce seine eben mit ihr geübten Umgangsfloskeln über den Musikpegel hinausplärrte. Er lallte ein wenig. Anscheinend hatte er bereits ein Glas Cider zu viel getrunken. Rachel konzentrierte sich auf ihre Atmung und darauf, nicht umzufallen. Sie hätte sich liebend gern wieder auf die Mauer gesetzt, aber dazu hätte sie sich umdrehen
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