Beseelt
Tränen, die sie uns vom Himmel schicken“, ergänzte Nevin.
Brighid schnaubte leise. Wenn der elendige Nieselregen ein Zeichen der Freude war, dann wünschte sie, die verdammten Vormütter würden ihre Begeisterung im Zaum halten. Sie spürte einen Blick auf sich ruhen und schaute über das Feuer hinweg Ciara an, die sie amüsiert anlächelte – ein sicheres Zeichen dafür, dass die Schamanin ihre Miene mal wieder richtig gedeutet hatte. Die Jägerin sah schnell weg.
„Durchtränkt von der Anerkennung unserer Vorfahren erweckt unsere heutige Geschichte eine Zeit zum Leben, die schon lange vorbei ist“, sagte Curran.
„Sie beginnt an einem Ort der Legenden. Einem Ort, der gefeiert wird für die Schönheit, das Wissen und die Integrität der Frauen, die dort ausgebildet werden“, fuhr Nevin fort.
Brighids Neugierde war geweckt, und sie riss sich aus ihrer schläfrigen Stimmung. Die beiden sprachen vermutlich über den Tempel der Musen. Es gab keinen anderen Ort in Partholon, der für seine reiche Vergangenheit und als Stätte der höheren Bildung für talentierte Frauen, die dort lernten, mehr verehrt wurde.
„Sagt uns, Kinder“, forderte Curran die Zuhörer auf, „wie heißen die neun inkarnierten Göttinnen, die im Tempel der Muse weilen?“
„Erato!“, rief Liam eifrig. „Sie ist die Muse der Liebe.“
Brighid ignorierte den verliebten Blick, den er ihr schenkte, genauso wie das Lachen der erwachsenen Hybriden. Zum Glück rief Kyna schnell den Namen der nächsten Göttin.
„Kalliope! Die Muse der Heldendichtung.“
Die anderen sieben Namen und Titel wurden von verschiedenen Kindern in die Runde gerufen.
„Die Muse der Geschichte ist Klio.“
„Euterpe, Muse der Dichtkunst.“
„Melpomene, die Muse der Tragödie.“
„Polyhymnia, Muse der Liedkunst, der Erzählungen und der Mathematik.“
„Meine Großmutter!“ Ein kleines geflügeltes Mädchen hüpfte auf und ab, wobei seine Flügel wild flatterten. „Thalia, die Muse der Komödie.“
„Urania ist meine Großtante, und sie ist die Muse der Astronomie und Astrologie“, sagte der junge Mann, den Brighid als Gareth kannte.
„Und vergesst nicht Ciaras Großmutter Terpsichore, die Muse des Tanzes“, warf Kyna ein.
„Wir würden doch Terpsichore nicht vergessen“, sagte Curran.
„Sie ist nämlich die Heldin unserer heutigen Geschichte“, erklärte Nevin.
Seine Ankündigung wurde begeistertet beklatscht und leise von den Kindern bejubelt. Brighid schaute zu Ciara. Die geflügelte Frau saß glücklich lächelnd inmitten der anderen Neuen Fomorianer. Wie viel Zeit war seit Terpsichores Tod vergangen? Oder, wo sie schon dabei war, wie lange war es her, dass Ciaras Mutter, die Tochter der inkarnierten Göttin, Selbstmord begangen hatte? Brighid fiel überrascht auf, dass sie keine Ahnung hatte, wie alt Ciara war. Sie wusste, dass es sich bei einer der Eigenschaften, die die Hybriden von ihren dämonischen Vätern geerbt hatten, um ungewöhnliche Langlebigkeit handelte. Elphames hybrider Partner Lochlan wirkte nicht älter als ein Mann in seinen besten Jahren, doch er hatte schon fast einhundertfünfundzwanzig Jahre gelebt. Die Schamanin sah aus, als wäre sie kaum zwanzig, doch sie musste älter sein. Sie strahlte die gleiche Aura von Selbstbewusstsein aus, die Brighid von ihrer eigenen schamanischen Mutter kannte.
Currans Geschichte zügelte ihre abschweifenden Gedanken.
„Jede der neun Göttinnen war auf ihre Art bezaubernd, aber Terpsichore war selbst unter diesen göttlichen Wesen eine seltene Schönheit. Ich erinnere mich aus meiner Kindheit noch gut an sie. Ihre Schönheit gründete nicht allein auf der Perfektion ihres Gesichts oder ihrer Figur.“
Als wären sie eine Person, nahm Nevin nahtlos den Erzählstrang auf: „Terpsichores Schönheit lag in der magischen Eleganz, mit der sie sich bewegte. Selbst als ihr geschundener Körper es ihr nicht mehr erlaubte, die Gebete an ihre Göttin zu tanzen, verlor sie niemals diese einzigartige Weise, sich zu bewegen, die sie eindeutig als von der Göttin gesegnet auszeichnete.“
Geschundener Körper? Brighid war bereits gefesselt. Lange hatte man in Partholon geglaubt, dass die inkarnierten Göttinnen und ihre Schülerinnen nach der verlorenen Schlacht am Tempel der Musen von den fomorianischen Horden hingeschlachtet worden waren. Die Jägerin dachte an die unglaubliche Schönheit der Malereien und Schnitzereien, die in der Siedlung der Neuen Fomorianer zurückgeblieben
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