Beseelt
Vorkehrungen für ihre Leute treffen, selbst in Zeiten persönlicher Notfälle. Es musste etwas Schlimmeres sein … etwas Verstörenderes …
„Jägerin? Wünscht Ihr, die Burg zu verlassen?“
Eine tiefe Stimme erklang über ihr und hallte von den dicken grauen Wänden wider. Brighid sah sich ratlos um. Ein riesiges Eisentor versperrte ihr den Weg. Bei der Göttin! Ihr war nicht einmal aufgefallen, dass sie den Eingang der Burg erreicht hatte. Ketten hielten den massiven Riegel, der die Tür sicher verschloss. Sie schaute hoch zur Wache und maskierte ihre Unaufmerksamkeit mit Verärgerung.
„Warum würde ich hier wohl stehen und darauf warten, dass Ihr das Tor öffnet, wenn nicht, um die Burg zu verlassen? Wollt Ihr morgen früh frisches Wildbret oder nicht?“
„Natürlich, Jägerin!“, rief der Krieger und winkte entschuldigend, während er seinen Männern ein Zeichen gab, das Rad zu drehen, das den Riegel löste.
„Ich bin nicht lange fort“, sagte sie barsch. „Haltet nach mir Ausschau.“
„Ja, Jägerin!“
Sie trabte durch die schmale Öffnung, doch nur wenige Meter hinter den dicken Mauern blieb sie stehen und atmete tief ein.
Partholon …
Einen Moment lang kam der Tumult in ihrem Inneren zur Ruhe. Auch wenn sie durch fremdes Gelände streifte, würden ihre Hufe wieder den Boden von Partholon berühren. Endlich hatten sie das Ödland hinter sich gelassen. Ihre scharfen Zentaurenaugen sogen die Landschaft in sich auf, die wegen der Dämmerung in gedämpftes Licht gehüllt wurde.
Wie erwartet war das Land um die Burg herum gerodet, damit kein Feind die Wächter überraschen konnte, aber der Boden unter ihren Hufen war merklich weicher als die trostlose, steinige Erde auf der anderen Seite der Berge. Der Kiefernwald, in dem hier und da eine störrische Eiche wuchs, begann ungefähr ein Dutzend Pferdelängen von den Burgmauern entfernt. Brighid trabte über das freie Feld, begierig, den Wald zu betreten. Er war nicht so dicht wie der, der die MacCallan-Burg umgab, aber die Bäume waren stark und grün, die Stämme gerade. Sie atmete tief ein und hätte schwören können, dass selbst die Luft klarer war.
Es fühlt sich wie Heimat an, dachte sie erstaunt. Nicht die Heimat ihrer Kindheit, die Ebene der Zentauren. Es fühlte sich an wie das Zuhause einer Erwachsenen, das Heim ihrer Wahl … ihr eigener Weg. Es fühlte sich richtig an.
Brighid schnupperte in der kühler werdenden Brise, und als sie den Geruch von frischem, klarem Wasser erhaschte, bog sie vom Hauptweg ab. Allein ihrem Instinkt folgend bewegte sie sich lautlos durch die Dämmerung. Die Jagd hatte eine beruhigende Wirkung auf ihre gereizten Nerven. Mit freudigem Herzen umarmte sie das vertraute Gefühl, das ihr selbst gewähltes Leben ihr vermittelte. Der Stress und die Sorgen der vergangenen Tage fielen von ihr ab.
Sie ging langsamer und schnupperte noch einmal, änderte leicht die Richtung und hielt sich etwas mehr links. Dort würde sie den Bach finden, das wusste sie. Sie fühlte es. Und sie spürte die Anwesenheit von Rehen. Sie tranken auf ihre scheue Art ein letztes Mal, bevor sie sich zur Nacht begaben. Es waren mehrere, nicht weit vor ihr.
Bei der Göttin, es fühlte sich so gut an, wieder alleine zu jagen! Sie brauchte den Frieden und die Einsamkeit, die die Jagd ihr schenkte – selbst wenn es sich dabei nur um eine Verschnaufpause handelte.
In Wahrheit vermisste sie die Einfachheit des Lebens, das sie sich an der MacCallan-Burg aufgebaut hatte. Jahre, in denen sie sich mit den politischen Manipulationen innerhalb ihrer Familie herumschlagen musste, hatten bei ihr den Wunsch nach einem anderen Leben geweckt. Sich der straffen Ausbildung zur Jägerin zu unterwerfen hatte sie gelehrt, dass ihr die Stille der Natur wesentlich lieber war als der Lärm von Leuten – ob sie nun Menschen, Zentauren oder Neue Fomorianer waren.
Brighid bewegte sich leichtfüßig zwischen den Bäumen. Sie konnte das melodische Plätschern des Wassers hören, das sich über Steine ergoss und fröhlich weiter nach Partholon hineinfloss. Sie grinste, denn sie wusste, wie es sich fühlte. Sie war selbst so verdammt froh, endlich nach Hause zu kommen.
Im dämmrigen Licht fing sie die Reflexion des fließenden Wassers auf und verlangsamte ihren Schritt. Mit einer geübten Bewegung zog sie einen Pfeil aus dem Köcher.
Sie hatte recht gehabt. Es waren mehrere. Brighid zählte schnell nach. Drei Ricken. Zwei offensichtlich tragend, eine dünner und
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