Bestien
anstarrte.
Obwohl sie ihn erst seit ein paar Minuten genau beobachtete,
hatte sie ihn schon vor mehr als einer halben Stunde im Garten
gesehen. Das war an sich nicht ungewöhnlich; Mark verbrachte
jeden Tag mindestens eine Stunde bei den Kaninchen,
versorgte sie, streichelte sie oder spielte mit ihnen; manchmal
ließ er sie sogar frei laufen, um Chivas einen Gefallen zu tun,
zuversichtlich, daß der Hund sie unverletzt zurückbringen
würde.
Aber heute war etwas anders. Statt um Mark herumzuspringen und eifrig am Kaninchenstall zu schnüffeln, lag
Chivas bäuchlings neben seinem Herren, hatte die Vorderbeine
ausgestreckt und den Kopf auf die Pfoten gelegt. Hinter ihm
lag der Schwanz ausgestreckt im Gras, und obwohl er aussah,
als schliefe er, konnte Sharon sogar aus der Küche erkennen,
daß seine Augen offen waren und Marks Gesicht beobachteten.
Auch Chivas spürte offenbar, daß etwas nicht stimmte. Und
nun, da sie darüber nachdachte, erkannte Sharon, daß es nicht
nur heute so war. Rückblickend schien es ihr, daß Mark die
ganze Woche über stiller und stiller geworden war, immer
mehr Zeit allein verbracht hatte, nach der Schule mit Chivas
durch die Wälder gestreift war oder wie jetzt bei den
Kaninchen gesessen und in ihren Stall gestarrt hatte. Aber sie
war beinahe sicher, daß er die Kaninchen überhaupt nicht sah.
Nein, ihn beschäftigte etwas anderes, worüber er bisher nicht
hatte sprechen wollen. Als Kelly in die Küche kam und wissen
wollte, wann das Essen fertig wäre, faßte Sharon einen
Entschluß.
»In einer Viertelstunde, Kind«, sagte sie dem Mädchen
»Hättest du Lust, für mich auf die Steaks achtzugeben?«
Kellys Augen leuchteten auf, und sofort nahm sie die große
zweizinkige Gabel und stieß sie in eines der dicken Steaks, die
gerade erst zu bräunen begannen. »Soll ich sie schon
umdrehen?«
»Alle vier Minuten«, antwortete Sharon und schätzte nach
einem Blick auf das Fleisch, daß sie wenigstens zehn Minuten
hätte, um mit ihrem Sohn zu sprechen. Sie ließ Kelly allein in
der Küche zurück, ging hinaus in den Garten und setzte sich zu
Mark auf den Rasen. Als spürte er, daß Hilfe für seinen Herren
eingetroffen war, setzte Chivas sich aufrecht, schlug mit dem
Schwanz auf den Boden und richtete den Blick seiner großen
vertrauenden Augen auf sie.
»Möchtest du darüber reden?« fragte Sharon.
»Worüber reden? Habe ich was falsch gemacht?«
»Nein, aber ich bin deine Mutter. Ich sehe es dir an, wenn
etwas nicht stimmt. Du wirst still. Aber dadurch wird nichts
besser.«
Mark holte tief Atem, seufzte. »Ich – ich bin einfach nicht
sicher, daß es mir hier in Silverdale gefällt.« Er wich ihrem
Blick aus.
»Wir haben erst Donnerstag. In weniger als einer Woche
hast du bereits entschieden, daß es dir nicht gefällt? Du warst
doch derjenige, der den Ortswechsel so begeistert begrüßte.
War es nicht so?«
Mark nickte mißmutig. »Ich weiß. Und ich weiß, wie gut es
Papa gefällt. Sogar Kelly hat aufgehört, ihren Freundinnen zu
Hause nachzutrauern.«
»Und du willst kein Spielverderber sein. Stimmt’s?«
Mark nickte zögernd. Dann aber, als er dem Blick seiner
Mutter begegnete, brach alles hervor, was sich seit Montag in
ihm angestaut hatte. »Hier denken alle nur an Sport. Mama, ich
kann nicht mal einen Freizeitjob bekommen, weil ich in keiner
von den Mannschaften bin.«
Sharon sah ihn verwirrt an. Wovon redete der Junge?
»Einen Freizeitjob?« fragte sie. »Warum suchst du einen
Freizeitjob?«
Mark errötete. »Ich – na, ich dachte, wenn ich einen Job
hätte, würde Papa mir nicht mehr so im Nacken sitzen, mit
seinem Sportfimmel. Ich meine, wenn ich einen Job hätte,
bliebe mir keine Zeit für Training und dergleichen, nicht?«
Sharon konnte sich kaum das Lachen verbeißen, aber der
stumme Appell in seinen Augen ernüchterte sie. »Na, du bist
mir ein Schlaumeier«, sagte sie mit einem kleinen Schmunzeln.
»Ich muß zugeben, daß es wahrscheinlich klappen würde. Wo
liegt das Problem?«
Mark erzählte ihr, was er am Montagnachmittag im
Fotogeschäft erlebt hatte. Das gleiche hatte sich am Dienstag
und am Mittwoch wiederholt, als er in anderen Läden vorstellig
geworden war. Heute waren ihm Henry Spaldings Worte in der
Drogerie wiederholt worden. »Was soll ich tun? Ich werde es
in keine der Mannschaften schaffen, und ich werde keinen
Freizeitjob bekommen, und Papa wird mir die Hölle heiß
machen.«
Sie saßen eine Weile schweigend, als könnte die Stille selbst
eine
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