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Beton

Beton

Titel: Beton
Autoren: Thomas Bernhard
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allein untergeordnet. Dabei ist sie nicht eigentlich schön, ich habe mich oft gefragt, ist sie schön, ist sie es nicht, ich kann nicht sagen, sie ist schön, sie ist es nicht, sie ist anders als alle andern und hat die Fähigkeit, alle um sie herum, wenn nicht auszulöschen, so doch wenigstens in den Hintergrund, in den Schatten zu drängen. Sie ist also das genaue Gegenteil von mir, der ich zeitlebens unscheinbar gewesen bin. Nicht bescheiden, das wäre das verkehrteste Wort, aber unscheinbar und dazu auch noch fortwährend und im Grunde immer zurückhaltend. Dadurch hatte ich mich mit der Zeit selbst liquidiert, könnte ich sagen, ich sage es, weil es wahr ist. Es ist deine Tragödie, mein kleiner Bruder, daß du dich immer im Hintergrund hältst, sagt sie sehr oft. Andererseits hat sie einmal gesagt, es sei ihre Tragödie,daß sie immer den Vordergrund aufsuchen muß, ob sie will oder nicht, man drängt sie in diesen Vordergrund, wo immer, in welcher Situation immer. Es ist niemals dumm, was sie sagt, weil es in jedem Falle immer viel gescheiter ist als das, das die andern sagen, aber es ist doch so vieles, das sie sagt, falsch. Manchmal, nicht nur manchmal, immer würde ich am liebsten aufheulen über den Unsinn, mit welchem sie zweifellos überall die höchste Bewunderung hervorruft. Naturgemäß geht sie in die Oper und sie läßt keine Wagneroper aus, mit einer Ausnahme, in den Fliegenden Holländer geht sie nicht, weil, nach ihren eigenen Wörtern, der Fliegende Holländer keine Wagneroper ist. Und sie meint tatsächlich, wie so viele, damit recht zu haben. Die Kleider, die sie bei diesen Gelegenheiten trägt, sind die allereinfachsten, noch viel einfacher als das einfachste, aber doch ist es immer dasjenige, das die größte Aufmerksamkeit auf sich zieht. Weißt du, die Oper ist für meine Geschäfte das Allerwichtigste, sagt sie immer wieder. Die Leute sind ganz verrückt von der Musik, die sie gar nicht verstehen und kaufen mir meine Ladenhüter ab. Unter ›meine Ladenhüter‹ versteht sie Güter nicht unter tausend Hektar. Oder von ihr so genannte Ersterbezirkobjekte , an welchen am allermeisten kurzfristig zu verdienen ist. Und tatsächlich ist es ein Vergnügen, ihr bei den Mahlzeiten zuzuschauen. Alle um sie herum sind aufeinmal, wenn schon nicht ordinär, so doch von der ihr in jedem Falle unterlegenen Art und Weise, zum Beispiel, wie sie die Suppe ißt oder den Salat etcetera. Es müßte schon eine sogenannte uralte Dame aus dem allerbesten Stall sein, die es tatsächlich mit ihr aufnehmen kann. Aber wie entsetzlich, fortwährend der Mittelpunkt und niemals aus den Augen gelassen zu sein, ich kann es nur nachempfinden, aber es ist sicherlich fürchterlicher, als ich es mir vorstellen kann. Ich habe immer die Gabe gehabt, mehr oder weniger unbeobachtet zu sein, auch in der größten Gesellschaft mehr oder weniger mit mir allein zu sein und war dadurch immerin dem Vorteil gewesen, meinen Intentionen, meinen Phantasien und Gedanken nachzugehen wie ich wollte. Die meinige war also für mich durchaus immer die vorteilhaftere, immer nützlichere Haltung in Gesellschaft gewesen, gerade diejenige, die zu mir paßte, im Gegenteil zu der, die zu meiner Schwester paßt. Und immer ist es, wo und wann immer sie auftritt und der Mittelpunkt ist, als sei sie von der größten nur denkbaren Natürlichkeit, wirklich alles ist natürlich an ihr, alles was sie tut, alles was sie sagt, sowie alles, das sie nicht sagt und verschweigt, man könnte glauben, es gäbe überhaupt kein natürlicheres Wesen als meine Schwester. Als brauchte sie sich über nichts und schon gar nichts Gedanken zu machen. Aber das ist genauso natürlich ein Irrtum, ich weiß, wie abgekartet alles ist, das sie unternimmt, wie vorbereitet, was sie schließlich vor allen diesen Leuten auftischt. Auf das Natürlichste gibt sie, obwohl es naturgemäß gar nicht wahr ist, allen diesen Leuten fortwährend zu verstehen, daß sie, wenn schon nicht alles, so doch das meiste gelesen hat, daß sie, wenn schon nicht alles, das meiste gesehen hat, daß sie, wenn schon nicht alle, so doch die meisten wichtigen und berühmten Leute auf die es ankommt, kennengelernt hat und gut kennt. Und sie gibt es zu verstehen, ohne jemals etwas derartiges auszusprechen. Obwohl sie überhaupt nichts versteht von Musik, ja nicht einmal ein oberflächliches Verständnis für die Musik ihr eigen ist, glauben doch alle Leute, sie verstünde sehr viel von Musik und so ist es mit
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