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Beton

Beton

Titel: Beton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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du ja, hatte sie noch gesagt. Natürlich, hatte ich geantwortet. So herrlich die Aussicht jetzt war, schon in zwei Tagen in Palma zu sein, die Angst davor, was in Wahrheit und in Wirklichkeit mich in Palma erwartet, das ich ja nicht habe wissen können, war doch in mir die größte. Nein, wer auf Reisen geht und fährt er immer wieder dorthin, wo ihm, wie er glaubt, schon alles durch und durch bekannt und vertraut ist, kann auf keinerleiSicherheit rechnen, wenn ich Glück habe, dachte ich, bekomme ich mein Zimmer. Wenn ich Glück habe, überbrücke ich die ersten, was meine Krankheit betrifft, gefährlichen Tage. Wenn ich Glück habe, kann ich in wenigen Tagen mit meiner Arbeit anfangen. Immer, wenn ich eingepackt habe und alles beschlossene Sache ist vor einer Reise und ich im Grunde gar nicht mehr zurückkann, fürchte ich mich davor, alle diese fürchterlichen, mit einer solchen Reise in Zusammenhang stehenden Konsequenzen auch zu ziehen. Am liebsten würde ich dann wieder alles rückgängig machen. Dann sehe ich, daß Peiskam gar nicht so grauenhaft ist, wie ich es mir monatelang gemacht habe, daß es ein herrliches, gemütliches Haus ist mit allen nur denkbaren Vorzügen, nichts, aber auch gar nichts von einer Gruft an sich hat. Dann liebe ich alle Räume, alle Zimmer, alle Möbelstücke besonders eindringlich und ich gehe durch das ganze Haus und betaste die einzelnen Stücke liebevoll. Dann sitze ich erschöpft in meinem Fauteuil in meinem Schlafzimmer und frage mich, ob es denn dafürsteht, aufzubrechen, diese ungeheuere Anstrengung auf mich zu nehmen. Aber ich muß fort, sagte ich mir. Gerade weil es vielleicht das letztemal ist, muß ich weg. Ich darf jetzt nicht nachgeben und mich lächerlich machen, vor allem vor mir selbst, mich vor mir selbst zum Narren machen. Du besprichst alles mit der Kienesberger und gehst zum Internisten und nimmst alle notwendigen Medikamente an dich und packst sie ein und verschwindest. Du kehrst dem Haus und allem, das in ihm ist und das dich doch, wie du genau weißt, in den letzten Monaten zu erdrücken und zu ersticken drohte, den Rücken. Du läßt das, das dich rücksichtslos an den Rand deiner Existenz gebracht hat, zurück, ohne Gemütsbewegung. Im Augenblick schämte ich mich der Gefühle für mein Haus, die ich gerade gehabt hatte, die ich aber doch gleich darauf wieder nur als teuflisch bezeichnen konnte. Das Selbstsentimentale, es stieß mich sofort wieder ab. Wäre ich nicht von schnellem Entschluß in allen Dingen,lebenslänglich, wie ich weiß, ich wäre, wie ich genauso weiß, von Anfang an wie gelähmt auf ein und demselben Platz sitzengeblieben und verkommen, so habe ich mich immer selbst überrumpeln können, ob es sich nun um Reisen oder Arbeiten oder alles mögliche Andere handelte, ich mußte immer diesen Überrumpelungseffekt anwenden. Bei dem Besuch des Alten in Niederkreut hatte ich noch daran gedacht, die Reise nach Palma nicht zu machen, daß es vielleicht möglich sein wird, durch in Abständen von ein paar Tagen regelmäßig vorgenommene Besuche bei dem Alten in Niederkreut und anderen Alten oder auch Jungen, mich so zu disziplinieren, daß ich ohne wegzureisen, meine Arbeit über Mendelssohn Bartholdy anfangen kann. Aber nachdem der Alte die Geschichte mit dem Telefonbuch aus London und über sein damit zusammenhängendes Testament erzählt hatte, war mir klar gewesen, daß ich abzureisen habe. Sarah Slother , das prägt sich zweifellos ein. Aber diese Geschichte der Sarah Slother wäre absolut der Höhepunkt dieses noch endlosen österreichischen Winters gewesen und ich wäre bei meinen weiteren Besuchen doch nur zutiefst enttäuscht worden. Und was die andern Nachbarn zu bieten haben, weiß ich, es reicht nicht, mir auf die Beine und also zu meiner Arbeit zu verhelfen. Diese Geschichte des Alten von seiner Slother war nur das auslösende Moment gewesen, mich sofort für die Reise nach Palma zu entschließen, die tatsächlich und wahrscheinlich schon lange von meiner Schwester vorgeplant gewesen war, wie ich jetzt dachte. Sie ist tatsächlich nach Peiskam gekommen, um mich zuerst auf die Idee, schließlich auf die Tatsache, nach Palma zu reisen, zu bringen, mit Sicherheit, mußte ich mir jetzt sagen, nicht nur zu dem Zwecke, um sich zu amüsieren und mich zu tyrannisieren, wie ich die ganze Zeit geglaubt habe, sondern um mich zu retten. Sie hatte ihr Ziel erreicht. Meine große, fürsorgliche Schwester. Im Augenblick verachtete ich mich. Ich war

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