Bettler 01 - Bettler in Spanien
Wir brauchen mehr. Wir brauchen alles, was wir aus der Gentechnologie, die wir bis zum äußersten zu benutzen wagen und sie nicht, herausholen können – Geisteskraft, Technik, Verteidigung…«
Will Sandaleros legte ihr leicht die Hand auf den Arm.
Eine Sekunde lang blitzte Zorn in ihren Augen auf, doch dann war er wieder verschwunden, und sie lächelte Will zu, der sie liebevoll ansah. Jennifer lachte. »Habe ich schon wieder Reden geschwungen? Tut mir leid. Ich weiß, ihr alle versteht die Philosophie von Sanctuary genauso gut wie ich.«
Ein paar Anwesende lächelten; andere rutschten unruhig auf ihren Stühlen. Ratsmitglied Arnes starrte immer noch großäugig das zuckende Baby an. Hermione bemerkte schließlich den entsetzten Blick der jungen Frau, nahm das Kind auf und schlug die Decke über Miranda zusammen. Das dünne gelbe Gewebe ruckte und vibrierte; der Saum war mit weißen Schmetterlingen und dunkelblauen Sternen bestickt.
Mit leicht gespreizten, fest auf dem Boden verankerten Beinen stand Drew Arien vor Leisha Camden, die fand, sie hätte noch nie einen solchen Kontrast erlebt wie jenen zwischen diesem Kind und dem jungen Reporter, der gerade gegangen war und dessen Namen sie bereits vergessen hatte.
Drew war der dreckigste Zehnjährige, den sie je zu Gesicht bekommen hatte. Schmutz verkrustete sein braunes Haar und schmierte sich über die Reste seines Kunststoffhemdes, die Hosen und die zerfetzten Schuhe – Marke ›Wohlfahrt‹, wie alles an ihm. So viel Schmutz klebte an einem tiefen Kratzer auf seinem nackten linken Arm, daß eine Infektion wohl unvermeidlich war; bis zum Ellbogen, der vorstand wie ein Meißel, sah die Haut rot aus und entzündet. Ein Zahn war ausgeschlagen. Das Gesicht, wirkte nur insofern bemerkenswert, als daraus Augen hervorblickten, die so grün waren wie Leishas eigene. Sein Ausdruck verriet eine Art dickköpfigen Tatendrang, als hätte Drew vor, für irgend etwas mit jeder Faser seines schmutzigen, mageren, sichtlich nicht genetisch veränderten Körpers zu kämpfen.
»Bin Drew Arien, ich«, sagte er. Es war wie ein Fanfarenstoß.
»Leisha Camden«, sagte Leisha ernsthaft. »Du wolltest mich unbedingt sprechen?«
»Ich will in deinen Stiftsbund.«
»Stiftung. Woher weißt du denn von meiner Stiftung?«
Das wischte Drew mit einer Handbewegung als unmaßgeblich beiseite. »Von irgendwem. Wie’s der mir sagt, mach ich mich gleich auf die Beine. Is’ nämlich ‘n langer Weg. Von Louisiana.«
»Zu Fuß? Ganz allein?«
»Hab mich auch mal heimlich wo angehängt«, sagte der Junge, wieder so, als wäre das nichts Erwähnenswertes. »Hat ziemlich lang gedauert. Aber jetzt bin ich da, und du kannst schon mal anfangen mit mir.«
Leisha sagte zum Haushaltsroboter: »Bring Sandwiches aus dem Kühlschrank. Und Milch.«
Der Roboter glitt lautlos davon. Drew starrte ihm fasziniert nach, bis er den Raum verlassen hatte. Dann tauchte er wieder aus seiner Versunkenheit auf und sagte zu Leisha: »Is’ das die Sorte, die mit dir ringt? Fürs Muskeltraining? Hab ich nämlich schon in der Tagesschau gesehen.«
»Nein, es ist ein einfacher Robot, der nur Dinge bringt und Aufzeichnungen macht. Also, womit sollen wir anfangen, Drew?«
»Na mit deinem Stiftsbund«, sagte er ungeduldig. »Daß du was machst aus mir.«
»Und was soll das bedeuten?«
»Mußt du doch wissen! Du bist die Stiftsbundbraut! Daß du mich mal ordentlich sauber kriegst und mir was beibringst und eben was machst aus mir.«
»Du möchtest ein Macher werden?«
Der Junge runzelte die Stirn. »Nee, aber mit irgendwas müssen wir ja anfangen, oder? Un’ dann seh’n wir weiter.«
Der Roboter kehrte zurück. Drew bekam einen gierigen Ausdruck in den Augen, und als Leisha ihn mit einer Handbewegung zum Zugreifen einlud, fiel er wie ein räudiger kleiner Hund über das Futter her. Er riß mit den Zähnen auf der linken Seite an den Sandwiches und zuckte vor Schmerz zusammen, wenn das blutige Loch auf der rechten mit Brot oder Fleisch in Kontakt kam.
Leisha sah ihm eine Weile zu. »Wann hast du denn zum letztenmal etwas gegessen?« fragte sie dann.
»Gestern früh… Mann, is’ das gut!«
»Wissen deine Eltern eigentlich, wo du bist?«
Drew hob einen Krümel vom Boden auf und aß ihn. »Meiner Ma isses wurscht. Die is’ nämlich bloß die ganze Zeit auf Brainie-Parties. Un’ mein Pa ist tot.« Letzteres setzte er in barschem Tonfall hinzu und starrte dabei Leisha mit seinen grünen Augen
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