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Bettler 01 - Bettler in Spanien

Titel: Bettler 01 - Bettler in Spanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Schmerzen und konnte sich nicht erklären, woher sie stammten!«
    »Oder er dachte, dort Schmerz zu verspüren«, lächelte Leisha, »rückblickend betrachtet.«
    »Ah ja«, sagte Alice, als hätte Leisha von etwas ganz anderem gesprochen, und Jordan sah, daß die Augen seiner Mutter wissender dreinblickten als je zuvor, und daß sie mindestens ebenso schwarz waren wie die von Calvin Hawke.
     
    Am frühen Morgen leuchtete die Wüste von New Mexico in perlweißem Licht. Blau, rosarot und in Farben, die Leisha nie für möglich gehalten hatte, krochen scharf umrissene Schatten wie lebende Wesen über die endlose, leere Weite. Den fernen Horizont begrenzten in klaren, präzisen Linien die Sangre de Cristo-Berge.
    »Ist das nicht schön hier?« fragte Susan Melling.
    »Ich hätte nie gedacht, daß ein solches Licht existiert«, sagte Leisha.
    »Nicht alle mögen die Wüste. Den meisten ist sie zu trostlos, zu dürr, zu feindselig gegenüber menschlichem Leben.«
    »Aber du magst sie.«
    »Ja, ich mag sie«, erwiderte Susan und nickte. »Was führt dich zu mir, Leisha? Das ist doch keine freundschaftliche Stippvisite. Du hast ein Dilemma. Ich kann es riechen. Ein zivilisierter Geruch. Gewichtige, hartnäckige Wolken sehr kalter Luft.«
    Unwillkürlich mußte Leisha lächeln. Susan, jetzt achtundsiebzig Jahre alt, hatte die medizinische Forschungsarbeit aufgegeben, als ihre Arthritis schlimmer wurde, und war in einen winzigen Ort achtzig Kilometer von Santa Fe gezogen – für Leisha eine unbegreifliche Handlungsweise. Es gab kein Krankenhaus dort, keine Kollegen, ja überhaupt wenig Leute, mit denen man reden konnte. Susan wohnte in einem Haus mit dicken Mauern aus Lehmziegeln und karger Einrichtung und einem überwältigenden Rundblick vom Dach aus, das sie als Terrasse benutzte. Auf den breiten, weiß getünchten Fenstersimsen und wenigen sonstigen Ablageflächen befanden sich Steine, die der Wind so glatt geschliffen hatte, daß sie glänzten, oder Vasen mit widerstandsfähigen Wüstenblumen, ja selbst Tierknochen, von der Sonne so strahlend weiß gebleicht, daß sie von innen zu leuchten schienen wie der Schnee auf den fernen Bergen. Als sie das erste Mal durch das Haus gegangen war, hatte Leisha merkliche Erleichterung verspürt wie einen kleinen Plumps in ihrer Brust, als sie das Terminal und die medizinischen Fachzeitschriften in Susans Arbeitszimmer erblickte. Denn alles, was Susan über ihren Ruhestand sagen wollte, war: »Ich habe so lange mit dem Hirn gearbeitet. Und jetzt suche ich nach dem Rest«, – eine Feststellung, die Leisha einzig in intellektueller Hinsicht auffassen wollte – sie hatte sich verbissen durch die Lektüre der üblichen Mystiker gequält – und in keiner anderen Hinsicht sonst. Nach dem ›Rest‹ wovon? Doch sie hatte gezögert, weiter in Susan zu dringen, für den Fall, daß es sich bei ihr um etwas wie Alices Zwillingsgruppe handelte: Pseudopsychologie, die sich als wissenschaftliches Faktum ausgab. Leisha hätte sich nicht in der Lage gefühlt mitanzusehen, wie Susans überragender Verstand sich von den irreführenden Wohltaten billigen Klamauks verführen ließ. Nicht bei Susan.
    »Gehen wir ins Haus, Leisha«, sagte Susan jetzt. »Dich beeindruckt die Wüste nicht. Du bist noch nicht alt genug dafür. Ich werde Tee machen.«
    Der Tee war gut. Als sie neben Susan auf dem Sofa saß, sagte Leisha: »Hast du dich auf deinem Fachgebiet auf dem laufenden gehalten, Susan? Bist du zum Beispiel mit den Forschungsergebnissen auf dem Gebiet der Genveränderung vertraut, die Gaspard-Thiereux letztes Jahr veröffentlicht hat?«
    »Ja«, erwiderte Susan. Ein Funken Belustigung erschien in ihren immer noch hellwachen Augen und erlosch wieder; sie hatte aufgehört, sich das Haar zu färben, und trug es nun in weißen Fransen, die nur wenig dünner waren als in Leishas Kindheitserinnerungen, und ihre Haut hatte die leicht geäderte Transparenz zersprungener Eierschalen angenommen. »Ich habe mich nicht von der Welt abgewandt wie ein Einsiedlermönch, Leisha. Ich hole mir die Fachpublikationen regelmäßig auf den Bildschirm, obwohl ich sagen muß, es ist schon eine Weile her, daß mir dabei etwas untergekommen ist, das es wert gewesen wäre, sich eingehender damit zu befassen. Gaspard-Thiereux war eine Ausnahme.«
    »Jetzt gibt es etwas.« Leisha erzählte ihr von Walcott, Samplice, von den Forschungsergebnissen und dem Diebstahl. Sie erwähnte weder Jennifer noch Sanctuary. Susan nippte an

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