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Bettler 01 - Bettler in Spanien

Titel: Bettler 01 - Bettler in Spanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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krankhaft ist und was nicht!«
    Der Staatsanwalt antwortete nicht darauf.
    Mittwoch und Sonntag waren Besuchstage, aber der einzige Besucher, den Jennifer an sich heranließ, war Will Sandaleros, der täglich in den üblicherweise leeren Besuchsraum kam, wo sie durch dickes Plastiglas von ihm getrennt unter einem Ring von Überwachungsschirmen saß.
    »Jennifer, die Anklagekammer hat entschieden, das Verfahren gegen dich zu eröffnen.«
    »Ja«, sagte Jennifer. Im verflochtenen Geäst ihrer Entscheidungen gab es kein Zweiglein, das zu einer Unterlassung der Anklage führte. »Ist das Datum für den Prozeß schon festgesetzt?«
    »Der achte Dezember. Der neuerliche Antrag auf vorläufige Freilassung gegen Kaution wurde abgewiesen.«
    »Ja«, sagte Jennifer. Es gab auch kein Zweiglein für eine Kautionsstellung. »Leisha Camden hat vor der Anklagekammer ausgesagt.« Es war keine Frage.
    »Ja. Die Aussage steht mir als dein Anwalt zur Verfügung; ich versuche, eine Kopie davon für dich zu bekommen.«
    »Ich habe seit zwei Tagen keine Schriftstücke erhalten.«
    »Dann werde ich Beschwerde einlegen. Bei der Berichterstattung in den Medien hat sich nichts verändert. Davon wirst du nichts wissen wollen.«
    »O doch«, sagte Jennifer. »Ich will sie sehen.« Die Hysterie der täglichen Berichte in den Medien war notwendig – nicht für ihre Studien, sondern für die Kraft ihres Gebetes (›Eine stete Mahnung für die Gläubigen‹, nannte es der Koran): ›Schlaflose morden für die Beherrschung der Welt!‹, ›Erst Geld – jetzt Blut?‹, ›Geheimbund der Schlaflosen plant Umsturz in den USA – Mordkomplott!‹, ›Abtrünnige Schlaflose deckt Zahl der Sancfwary-Mafia-Morde auf!‹, ›Jugendbande prügelt Teenager zu Tode: ‘Er war ein Schlafloser!’‹.
    »Vielleicht solltest du sie wirklich bekommen«, sagte Sandaleros. Er war fünfundzwanzig und seit seinem vierten Lebensjahr in Sanctuary aufgewachsen, nachdem seine Eltern freiwillig auf das Sorgerecht verzichtet hatten, weil das gentechnisch veränderte Kind nicht ihren Erwartungen entsprach. Nach dem Jurastudium in Harvard war Sandaleros nach Sanctuary zurückgekehrt, um dort seine Praxis aufzumachen, und verließ sie nur für Konsultationen mit Klienten oder für Termine bei Gericht – und selbst dann nur ungern. Er erinnerte sich kaum an seine Eltern, und wenn, dann ganz gewiß nicht liebevoll. Er war Jennifers erste Wahl als ihr Anwalt gewesen.
    »Noch etwas«, sagte Sandaleros. »Ich habe eine Nachricht von deinen Kindern.«
    Jennifer richtete sich noch gerader auf als sonst. Das war jedesmal das schwerste; dafür übte sie sich Tag und Nacht in Selbstdisziplin auf der Kante dieser harten Pritsche, den Rücken steif, den Geist zu ruhiger, gefaßter Planung genötigt. Dafür. »Ich höre.«
    »Najla läßt dir sagen, sie hat die Software von Physik Drei zu Ende gebracht. Ricky sagt, er hat in den Lebenddaten aus dem Golfstrom eine neue Gesetzmäßigkeit in den Wanderungen von Fischschwärmen entdeckt und kartographiert sie als Vergleichsmodell zu den Analysen seines Vaters im globalen Verzeichnis.«
    Ricky fand fast immer einen Weg, seinen Vater in seinen Botschaften unterzubringen; Najla tat das nie. Sie wußten, daß ihr Vater vor Gericht gegen ihre Mutter aussagen würde. Jennifer hatte darauf bestanden, daß Sandaleros es ihnen sagte. Dies war keine Welt, in der man Schlaflosenkindern erlauben konnte, in behüteter Unwissenheit aufzuwachsen.
    »Ich danke dir«, sagte Jennifer gelassen. »Und nun zu den Verteidigungsalternativen im einzelnen.«
    Später, als Sandaleros längst gegangen war, saß sie noch auf der Pritschenkante und ließ Entscheidungsbäume in die Freiräume ihres Geistes wachsen.
     
    »Du willst es wirklich tun?« Stella Bevingtons hübsches Gesicht auf dem ComLink war hart und kalt. »Du willst tatsächlich gegen einen von uns aussagen?«
    »Stella«, sagte Leisha, »ich muß es tun.«
    »Weshalb?«
    »Weil sie im Unrecht ist. Und weil…«
    »Es ist nicht unrecht, sich selbst und die eigenen Leute zu schützen, auch wenn das einen Bruch des Gesetzes mit sich bringt! Du selbst hast mir das erklärt – du und Alice!«
    »Das ist nicht das gleiche«, sagte Leisha so ruhig wie möglich. Auf dem Bildschirm des ComLinks sah man hinter Stellas Kopf genmodifizierte kalifornische Palmen, von Silber durchzogene, lange blaue Wedel. Was wollte Stella in Kalifornien? Und außerdem gab es kein Link im Freien, das ausreichend abgeschirmt war.

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