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Bettler 02 - Bettler und Sucher

Titel: Bettler 02 - Bettler und Sucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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sie selber keine Experimente machen dürfen!«
    Es gibt keine erlaubten Forschungen, um Gegenmittel zu entwickeln. Das war kein neues Argument, das hatte ich schon oft gehört. Aber noch nie von einem so einfachen Menschen, in einer solchen Situation. Billy hatte einen kurzen Blick auf Eden geworfen, und er hielt die Götter dort nicht nur für allmächtig, sondern auch für wohlwollend. Und offenbar für fähig, über ein Gegenmittel für das Übel zu verfügen, das sie selbst hervorgerufen hatten. Vielleicht hatte ich selbst auch flüchtig so gedacht, damals, während der Patentverhandlung für Miranda Sharifis Zellreiniger. Aber SuperSchlaflosen unterlief kein Mißgeschick, zumindest nicht in dieser Größenordnung. Wenn Huevos Verdes den Duragem-Spalter freigesetzt hatte, dann mit voller Absicht, um die Gesellschaft zu zerstören, die sie haßte. Ein anderer Grund fiel mir beim besten Willen nicht ein. Und Huevos Verdes hatte beinahe Erfolg damit gehabt.
    »Sie sollten jetzt schlafen, Billy«, sagte ich und stand auf, um zu gehen. Aber der alte Mann war in Plauderlaune.
    »Ich weiß, das waren keine Bösen, die. Das Mädel, damals, die, wo Doug Kane vorm Tod bewahrte… un’ jetz’ is’ alles hin. Eden gibt’s einfach nich’ mehr. Un’ ich, ich werd’ nie wieder den steilen Waldweg runtersteigen un’ durch’n Fluß waten un’ zusehen, wie das Tor im Hang aufklappt, un’ mit ihr reingehen…«
    Er faselte sinnloses Zeug – natürlich, die Agenten hatten ihm eine Wahrheitsdroge verabreicht. Und er hatte beantwortet, was sie wissen wollten. Redseligkeit war eine der Folgen, wenn die Wirkung der Droge nachließ.
    »Auf Wiedersehen, Billy, Annie.« Ich ging zur Tür.
    Lizzie hörte etwas aus meiner Stimme heraus. Sie wieselte zu mir herüber, die Augen weit aufgerissen, das ›Hühnerbein‹ in ihrem dünnen Händchen. Doch sie sah bereits frischer aus. Kinder reagieren rasch auf gute Ernährung.
    »Vicky, es bleibt doch beim Unterricht morgen? Vicky?«
    Ich sah sie an, und plötzlich hatte ich das absolut verrückte Gefühl, Miranda Sharifi zu verstehen.
    Es gibt ein Bedürfnis, das ich nie erlebt habe, mit dem ich nie gerechnet habe. Ich habe darüber gelesen und es sogar an anderen Leuten miterlebt, obgleich nicht oft. Es ist ein Bedürfnis, das so tiefgehend ist, so stark, so konkret, daß es nicht möglich ist, ihm Einhalt zu gebieten, ebensowenig, wie man einer Lanze Einhalt gebieten kann, die schnurgerade auf unseren Bauch zufliegt. Die Lanze trifft auf und ihre Wucht schleudert, den Gesetzen der Physik entsprechend, unseren Oberkörper nach vorn. Sie verändert die Wege unseres Blutes. Man kann davon sterben.
    Es heißt, Mütter verspüren dieses quälende Bedürfnis, wenn es darum geht, eine tödliche Gefahr von ihren Kindern abzuwenden. Ich bin keine Mutter. Aber auch Liebende sollen dieses Gefühl füreinander empfinden. Ich habe nie auf diese Weise geliebt, ungeachtet einiger Versuche mit Claude-Eugene-Rex-Paul-Anthony-Russell-David, die nichts weiter waren als Talmi. Künstler und Wissenschafter sollen diese Gefühle angeblich für ihre Arbeit hegen. Das letztere traf wohl auch auf Miranda Sharifi zu.
    Was ich für Miranda Sharifi gefühlt hatte, ununterbrochen seit Washington, war Neid gewesen. Und ich hatte es nicht einmal bemerkt.
    Doch jetzt war es anders. Als ich jetzt Lizzie ansah, mit dem Wissen, East Oleanta am nächsten Morgen zu verlassen, und aus dem Augenwinkel merkte, wie Annie mit ihrem fülligen Hintern auf dem Stuhl hin und her rutschte, während sie uns beide beobachtete, veränderte die Lanze mit einemmal die Wege meines eigenen Blutes, und ich preßte mir unwillkürlich beide Hände auf den Bauch. »Aber klar, Lizzie«, hauchte ich, und Colin Kowalski stahl sich in mein Lächeln, durch und durch ehrlich in seiner Macher-Überlegenheit – verlogen eben, wie wir Schweine nun einmal sind.
     
    Doch irgendwann im Morgengrauen, um fünf oder sechs, wachte ich abrupt aus einem fusseligen Schlaf auf. Billys Stimme erfüllte mein Ohr: Un’ jetz’ is’ alles hin. Eden gibt’s einfach nich’ mehr. Un’ ich, ich werd’ nie wieder den steilen Waldweg runtersteigen un durch’n Fluß waten un’ zusehen, wie das Tor im Hang aufklappt, un’ mit ihr reingehen…
    Ich schlich mich aus dem Zimmer des eiligst wieder in Schuß gebrachten Hotels. Auf dem Empfangspult stand zwar ein neues Terminal, aber das war mir viel zu riskant. Ich ging hinüber zur Cafeteria. Es waren schon Leute

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